Rosas Vermaechtnis
Entsetzen, über das, was ihnen widerfahren war, zum Überlaufen gebracht hatte.
»Wir müssen Jan Bescheid sagen«, flüsterte Marie endlich, nahm ihr Mobiltelefon aus der Jackentasche und wählte seine Privatnummer.
Eine Dreiviertelstunde später nahm das Polizeiaufgebot fast den ganzen Vorhof ein und die beiden Frauen waren froh, dass die Geschäftigkeit der Ermittlungen sie aus ihrer Benommenheit riss.
Hauptkommissar Jan Berger setzte zu ihrer Erleichterung nicht das befürchtete »Hab-ich's-doch-geahnt-aber-ihr-habt-ja-nicht-auf-mich-gehört-Gesicht« auf, sondern vermittelte Alexandra und Marie das Gefühl, der Fels in der Brandung zu sein.
»Damit das schon einmal klar ist«, bemerkte er, keinen Widerspruch duldend, »ab sofort wohne ich bei euch. Jedenfalls, bis der Täter gefasst ist.« Ein rascher Seitenblick auf Marie, die ihn voller Erleichterung ansah, brachte ihn zum Lächeln, das sie erwiderte. »Gut, dass das Album noch bei mir im Büro liegt«, setzte er ernst fort, »wenigstens was das angeht, habt ihr auf mich gehört. So, wie sich die Dinge jetzt darstellen, muss tatsächlich jemand ein ausgesprochenes Interesse daran haben. Jedenfalls weit mehr, als ich mir selbst vorgestellt habe.«
»Was meinst du, wann die Kollegen fertig sind, sodass wir mit dem Aufräumen anfangen können?«, fragte Alexandra erschöpft.
»Soll ich dir mal was sagen? Wir machen heute nur noch so viel Ordnung, dass wir in Ruhe übernachten können. Wenn alle weg sind, hole ich uns zwei Flaschen Wein – alles kann schließlich nicht kaputt sein – und wir versuchen, uns ein bisschen zu entspannen. Der Dreck liegt morgen auch noch da, dann können wir ihn immer noch wegräumen, über Nacht macht das sowieso keiner für uns.«
»Du hast recht«, seufzte Alexandra ergeben, »morgen können wir die Sache vielleicht systematischer angehen.«
»Chef, ich glaube, wir hätten da was. Jedenfalls gehört es keiner der beiden Damen, das habe ich schon abgeklärt.« Ein Mitarbeiter der Spusi streckte den Kopf in Alexandras – fast konnte man sagen ehemaliges – Wohnzimmer, wo Jan sich gerade einen Überblick verschaffte. »Sehen Sie mal!« Er hielt einen Zettelfetzen hoch, der bereits sorgfältig in einer Plastiktüte verstaut worden war. Jan trat hinzu und nahm die Tüte in die Hand. »Das sieht nach einer Online-Fahrkarte aus.« Er versuchte die verbliebenen Zahlen und Wortstücke zu entziffern, doch vergebens. »Geben Sie das morgen gleich ins Labor, Breuer, vielleicht können die da was rekonstruieren. Wenn das wirklich ein Ticket ist, hat der Eigentümer es mit seiner Kreditkarte bezahlt, was sozusagen ein Volltreffer wäre. Gut gemacht«, nickte er dem jungen Kollegen anerkennend zu, »eine heiße Spur haben wir jetzt also schon.«
»Alles nur wegen dieses elenden Kräuterschnaps-Rezeptes!« Alexandra schnappte empört nach Luft, während die beiden Freundinnen am nächsten Tag versuchten, das Chaos zu beseitigen.
»Wie viel Zerstörungswut in jemandem stecken kann! Ich könnte mir nicht vorstellen, so zu reagieren«, urteilte Marie.
»Sag das nicht.« Alexandra stützte sich auf den Besenstiel, hielt einen Moment inne und sah die andere ernst an. »Denk mal darüber nach, wie es sich anfühlte, wenn du ein Kind hättest und jemand ihm Gewalt antäte. Könntest du dir dann vorstellen, vollkommen irrational zu reagieren?«
»Natürlich«, räumte Marie ein, »du hast recht. Wahrscheinlich wären umgestürzte Flaschen und aufgeschlitzte Sofas dabei noch die harmloseste Version.«
»Das denke ich auch. Trotzdem, irgendjemandem passt es hier überhaupt nicht, dass wir das Schnaps-Patent haben. Oder sagen wir besser: Er vermutet, dass wir das Rezept gefunden haben. Ob das wirklich dieser Johannsen war? Ich meine, der müsste doch blöd sein, wenn er so auf sich aufmerksam machen würde. Immerhin wüsste er, dass der Verdacht sofort auf ihn fiele, weil er ja auch hier war. Nein, da muss noch etwas anderes dahinterstecken. Etwas, was wir vielleicht noch gar nicht bedacht haben.«
»Oder jemand, an den wir noch nicht gedacht haben«, ergänzte Marie, bevor sie, jede ihren eigenen Gedanken nachhängend, ihre Arbeit fortsetzten.
Am Abend ließ sie das Geräusch eines Lastwagens auf dem Vorplatz des Hofes neugierig aus dem Haus laufen. Jan sprang lachend aus dem Führerhaus, ging um das Fahrzeug herum und öffnete die automatische Ladeklappe.
»Bitte sehr, meine Damen!« Er machte eine einladende Handbewegung, worauf
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