Rosen des Lebens
sie besucht,
bleibt er die Nacht über bei ihr?«
»Madame, wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie wissen, ob er seine dynastische Pflicht erfüllte?«
»Sie nehmen kein Blatt vor den Mund.«
»Madame, Ihr Schamgefühl ehrt Sie, und ich finde es ebenso natürlich wie Ihre Neugier. Aber wenn Sie gestatten, komme ich
später darauf zurück, denn ich habe Ihnen noch allerhand Interessantes zu erzählen über die Königin, den König und Luynes.«
»Ach, bitte, dann sagen Sie mir zuerst, wie der König jetzt aussieht.«
»Nun, mit seinen zwanzig Jahren ist er immer noch blutjung, hat runde Wangen, schöne schwarze Augen und blickt zugleich unschuldig
und streng.«
»Ich stelle mir vor, daß er auf diesem Feldzug ganz in seinem Element ist. Er träumte doch immer davon, ein Soldatenkönig
zu sein wie sein Vater.«
»Darauf bereitete er sich von klein auf vor, richtig. Wie viele |310| militärische Aufgaben er sich stellte! Wie viele Bleigardisten er auf dem Fußboden gegen einen imaginären Feind aufbot! Wie
oft er, als er größer war, sein Garderegiment im Pré au Clerc zum Manöver befehligte! Und wie er, der sonst wenig Lerneifrige,
sich anstrengte, die Mathematik zu verstehen und die Geheimnisse des Festungsbaus! Und jetzt, Madame, ist er meistens wie
ein einfacher Soldat gekleidet, und der Degen weicht ihm nicht von der Seite. Er fühlt, daß er sich seiner Reife naht. Er
weiß, es ist seine erste Pflicht, die Einheit des Reiches herzustellen. Wiederholt sagt er, er sei ›auf dem Weg, wahrhaft
der König von Frankreich zu werden, und wer immer ihn davon abbringen wolle, sei nicht sein Freund‹.«
»Wer will ihn denn davon abbringen?«
»Diejenigen, die den Feldzug mit der Einnahme von Saint-Jean-d’Angély beendet sehen und nach Paris zurückkehren wollen.«
»Sind das viele?«
»Allerdings, Madame, sein Kronrat, seine Minister und natürlich Luynes. Nur Prinz Condé unterstützt den König.«
»Warum?«
»Weil er sein edles Blut beweisen will. Sie wissen doch, daß ihn alle Welt verdächtigt, der Sohn jenes Pagen zu sein, der
auf Befehl der Prinzessin Condé seinen Vater vergiftete.«
»Und wie kann er das?«
»Durch Ruhm. Prinzliches Blut, Madame, bringt nicht allein unerhörte Tapferkeit, sondern auch große militärische Talente hervor.«
»Schön, der König führt also seinen Feldzug weiter.«
»Er hätte ihn auch ohne Condés Unterstützung weitergeführt. Ohne einen Schuß abzufeuern, nimmt er Pons, Castillon, Bergerac.
Die ganze Basse-Guyenne unterwirft sich, nur Clérac widersteht fünf Tage seiner Belagerung, die übrigens sehr verlustreich
ist. Während dieser Belagerung stirbt der Siegelbewahrer des Reiches, Monsieur du Vair. Er war noch nicht kalt, als Luynes
auch dieses Amt verlangte. Seine Raffgier war so groß, daß er, wenn er gekonnt hätte, zu seinem Konnetabelamt noch sämtliche
Ministerposten an sich gerissen hätte.«
»Aber wie konnte der König einwilligen, daß Luynes auch noch die Siegel bekam?«
»Madame, wer kennt das menschliche Herz? Ludwig, ein |311| tugendhafter Mensch, fühlte sich Luynes zu unendlicher Dankbarkeit verpflichtet im Gedenken an jene Jahre, als seine Mutter
ihn demütigte und niederhielt und der Vogelsteller sein einziger Freund war. Doch beurteilte er seinen Favoriten mit zunehmender
Nüchternheit. Er überließ ihm die Siegel, verargte ihm aber, daß er sie gewollt hatte. Sicher liebte er ihn noch, aber dieser
großen Freundschaft ging allmählich die Wertschätzung verloren, auf der sie beruht hatte, ohne daß Luynes es auch nur ahnte.
Seine einstige Ergebenheit hatte sich mit der Zeit zu einer Anmaßung gewandelt, die nicht einmal seinen Wohltäter verschonte.
Madame, darf ich nun fortfahren, oder haben Sie den Waffenlärm langsam satt?«
»Monsieur, Sie unterschätzen mich. Mir geht es durchaus nicht nur um Herzensangelegenheiten. Zum Beispiel beschäftigt mich
eine Frage: Wie kam es, nachdem Ludwig so viele Erfolge errungen und Festungen genommen hatte, zu der schweren Niederlage
vor Montauban?«
»Dafür gibt es mehrere Gründe. Ludwig hatte zwölftausend Mann, er hätte aber dreißigtausend gebraucht, um eine so große und
so stark befestigte Stadt wie Montauban zu belagern. Ludwig hatte fünfundvierzig Kanonen. Er hätte über hundert gebraucht.«
»Über hundert!«
»Bedenken Sie, Madame, daß unser Henri, als er den Herzog von Bouillon in Sedan ausräucherte, wo sich dieser Streithammel
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