Rosen des Lebens
mir schnell zum Gegenstand der Entrüstung, denn nachdem er dem Altar einen duftenden Schwall gesandt hatte,
um dem Schöpfer zu danken, |76| stellte er sich vor mich hin und räucherte mich ebenfalls ein. Zwar schwante mir, daß auch dies ein uralter Brauch war, den
die Grafen von Orbieu, die zu unseren Füßen ruhten, einst gefordert oder geduldet hatten. Ich fand es jedoch abgeschmackt,
um nicht zu sagen unzulässig, daß man, nachdem man dem himmlischen Herrn Ehre erwiesen hatte, sozusagen im gleichen Aufwasch
und mit demselben Weihrauch den irdischen Herrn beehrte, und ich bezweifelte stark, daß ich, bei allem Respekt vor dem Brauchtum,
diesen wenn auch passiven Teil meiner Rolle lange hinnehmen würde.
Als Séraphin aufhörte zu singen, bewies er Geist und rühmte feinsinnig sowohl die Grafen von Orbieu als auch meine Vorfahren:
den tapferen Baron von Mespech, der dem Herzog von Guise half, den Engländern Calais zu nehmen, und den Marquis de Siorac,
meinen Vater, Ritter des Heiligen-Geist-Ordens, der Heinrich III. und Henri Quatre in äußerst gefahrvollen Missionen gedient
hatte. Meine weiblichen Linien betreffend gab er zu verstehen, daß sie sehr alt und berühmt wären, ohne jedoch deutlicher
auf Madame de Guise oder meine Großmutter mütterlicherseits anzuspielen, eine geborene Castelnau, deren Vorfahren an den Kreuzzügen
teilgenommen hatten. Zum Schluß benannte er alle Titel, die mir die Dankbarkeit Seiner Majestät Ludwigs XIII. eingetragen
hatte, im besonderen als es darum ging, das Königreich von einem ausländischen Usurpator zu befreien.
Nachdem Séraphin dies alles auf französich gesagt hatte, wiederholte er es in Platt. Ich war ganz Ohr, trotzdem verstand ich
außer ein paar Eigennamen kein Wort. Immerhin, diese überlange frostige Messe (meine Füße in den Stiefeln waren wie Eisklumpen,
und die Kälte hockte mir trotz meines pelzgefütterten Seidenmantels wie ein Alp im Nacken) hatte mir wohl oder übel erlaubt,
eine kleine Ansprache an meine Untertanen vorzubereiten.
Ich wollte wenn auch nicht so lakonisch sein wie Ludwig, aber doch kurz, um die Aufmerksamkeit der Gemeinde, die von Séraphins
lateinischen Psalmodien schon genug ermüdet war, nicht noch mehr anzustrengen.
Ich erhob mich von meinem Bischofssitz und rief von der obersten Stufe des Chors Monsieur de Saint-Clair zu mir, dann sagte
ich in einfachen Worten und sorgfältig artikuliert in der |77| vielleicht vergeblichen Hoffnung, daß mein Französisch wenigstens von einigen verstanden würde: »Meine Freunde, der König
hat mich euch zum Herrn gegeben. Dient mir gut, und ich werde euch ein guter Herr sein. Ich werde meine Rechte wahren und
die euren achten. Den Verwalter des seligen Grafen von Orbieu habe ich durch einen anderen ersetzt, und ihr wißt warum. Monsieur
de Saint-Clair wird also mein Verwalter sein. Er ist ein Edelmann und ein Ehrenmann, er wird euch nicht ausbeuten. Ihr werdet
ihm gehorchen wie mir selbst. Ich verspreche euch heute zweierlei, und das werde ich halten: Ich werde euch oft besuchen kommen,
und ich will mich bemühen, das Gut Orbieu mit eurer Hilfe wieder hochzubringen. Gott segne euch und schenke euch Gesundheit.«
Weder auf französisch noch auf Platt, nachdem Pfarrer Séraphin übersetzt hatte, rief meine Rede bei den Zuhörern irgendeine
Reaktion hervor, weder Befriedigung noch Unzufriedenheit. Es war, als hätte ich zu Holzklötzen gesprochen.
***
Derweil hatte Caboche im Schloß wahre Wunder vollbracht. Nicht nur, daß er uns mit einem Souper, würdig der »Freßsäcke vom
Hofe«, aufwartete, er hatte auch in allen Zimmern Feuer machen lassen, und als die durchgefrorenen Damen sich zurückzogen,
stießen sie Freudenschreie aus. Weil ich Pfarrer Séraphin eingeladen hatte, sich zu uns zu gesellen und diese Nacht einmal
in unseren Mauern zu schlafen, bat ich ihn nach dem Essen in die Bibliothek (der Raum wurde so genannt, obwohl er nur wenige
Bücher aufwies, die Grafen von Orbieu waren keine großen Leser) und stellte ihm verschiedene Fragen, auf die er freimütig
antwortete.
»Herr Graf, wundert Euch nicht«, sagte er, »daß Ihr unter meinen Pfarrkindern keinen Graukopf gesehen habt. Bevor Bart und
Haupt weiß werden, sterben sie, die meisten vor fünfzig, die Frauen im Kindbett noch früher. So gibt es keine Großeltern im
Dorf, und das ist schade, denn sie würden gute Dienste tun. Es gibt auch nicht viele Kinder. Die Hälfte
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