Rosen des Lebens
nichts
und niemand je Böses sah und die Menschheit voll Vertrauen liebte. Dieses ungewöhnliche Wesen hatte ihm auch im Alter nun
etwas wundersam und liebenswert Kindliches bewahrt. Freilich soll nicht verschwiegen werden, daß er, aus einem Stoff geschaffen,
der ihn blind machte für die menschlichen Niedrigkeiten, in tausend Fallen gestürzt wäre, wenn seine Gemahlin, Frau Gertrude
du Luc, ihn nicht mit fester Hand durch die Untiefen des Lebens geleitet hätte; mit den Jahren war sie zugleich seine Frau
und seine Mutter geworden.
Den Kopf fest auf ihren normannischen Schultern und die rundlichen Brüste noch immer straff, vielleicht durch ein Kunstmittel,
besaß Gertrude von ihrem ersten Mann ein Vermögen, von dem sie für Samson die Apotheke zu Montfort gekauft hatte. Die lief
allerdings unter ihrem Namen, anderenfalls hätte Samson seinen Adelstitel verloren. Bei Gertrude nahm man es nicht so genau:
sie entstammte nur dem Amtsadel.
Ich war ganz entzückt, daß die Damen zum Tag meiner »In thronisierung « sich uns anschließen wollten. Das Rascheln ihrer seidenen Reifröcke, ihr Putz, ihre Perlen, ihre Parfums bis hin zu ihren
kunstreichen Lockenfrisuren, dachte ich, würde etwas bezaubernd Warmherziges in die Dorfkirche bringen, wo ich am Sonntag,
dem fünfundzwanzigsten Februar, um Punkt zehn vor den Leuten meines Besitztums sozusagen zum Grafen von Orbieu »gesalbt« werden
sollte. Und was die Frauen anging, meine beiden Schwägerinnen, Gertrude du Luc und Sara, meine ich, so waren sie nicht böse,
einmal alle beisammen zu sein, denn sie hatten sich sicher viel zu erzählen, beisammen |71| noch dazu mit meinem Vater und mir, die sie doch selten zu Gesicht bekamen. Aber gewiß war es für sie auch eine schöne Gelegenheit,
die Eintönigkeit des eisigen Winters auf dem flachen Lande zu durchbrechen und an einem denkwürdigen Ereignis teilzunehmen,
dessen Ruhm auf sie und ihre Gatten zurückfallen würde. Denn weder Samson noch meine Halbbrüder, weil sie Nachgeborene waren,
hatten Titel, so daß der meine und mein nahes großes Besitztum Glanz auch auf sie werfen würde.
Die Kirche war schon voll, wie uns Monsieur de Saint-Clair verkündigte, der uns auf dem Weg von Montfort nach Orbieu entgegenkam,
und der Herr Pfarrer Séraphin wünsche, bevor wir eintraten, uns alle in der Sakristei zu empfangen. Was uns nur gelegen kam,
denn dort brannte ein schönes Feuer. Weniger gut trafen es unsere Leute, die in der Kirche alle Bänke besetzt fanden, so daß
sie während des ganzen Gottesdienstes aneinandergedrängt stehen mußten, daß keine Stecknadel fallen konnte.
Als ich die Sakristei betrat, empfing mich Pfarrer Séraphin mit allem gehörigen Respekt, dann begrüßte er meine Familienangehörigen,
jeden seinem Geschlecht, seinem Alter und seiner Würde gemäß mit Nuancen, die der Großkämmerer nicht verachtet hätte. Dann
erklärte er uns, daß nur ich im Chor, auf einem Stuhl mit Baldachin sitzen würde, der eigentlich dem Herrn Bischof zustehe,
aber daraus solle ich mir nichts machen, seit Menschengedenken habe keine violette Soutane sich in den Kot des flachen Landes
verirrt.
Mein Vater, mein Onkel, meine Brüder, La Surie, Saint-Clair und die Damen würden auf Schemeln sitzen, die man in der ersten
Reihe des Schiffes für sie freihalte. Nach der Messe würde der Herr Pfarrer mich seinen Beichtkindern vorstellen, zuerst auf
französisch, dann in Platt, und er wäre glücklich, wenn ich hiernach einige Worte an meine Gutsleute richten wollte, die er
sich erlauben würde, dann zu übersetzen.
Und genau in dem Moment, Leser, schwor ich mir, so schnell wie möglich die Sprache meiner Untertanen zu lernen. Verflucht,
es wäre doch gelacht, wenn ich, Dolmetsch für fremde Sprachen in Henri Quatres Geheimdiplomatie und als solcher unter Ludwig
XIII. Angehöriger des Kronrats, es nicht fertigbrächte, diese armselige Mundart zu beherrschen, die |72| sicher nicht dieselben Schwierigkeiten bereitete wie die deutsche Grammatik, die englische Aussprache oder die italienischen
Verben! Auch sollten meine Dörfler, wenn ich ihnen auf französisch eine Frage stellte, die ihnen unangenehm sein mußte, nicht
so tun können, als verstünden sie nicht, und mich bei allem Anschein des Respekts im stillen für einen Dummkopf halten. Ganz
zu schweigen von der Umständlichkeit, wegen jeder Kleinigkeit Séraphin rufen zu müssen, damit er erkläre, was man mir
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