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Rosen des Lebens

Rosen des Lebens

Titel: Rosen des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Dorf in erster Linie ein Rentier sein muß.«
    Figulus hob zugleich die Brauen und die Schultern, was vermutlich besagen sollte, daß er seine Kirche nicht kritisieren könne,
     aber billigen auch nicht.
    »Die Hierarchie«, sagte er, »ist wahrscheinlich der Ansicht, daß ein Pfarrer, wenn er arm ist, im Dorf nicht geachtet wird.«
    |83| »Aber bleibt er denn arm, auch wenn er kein Kapital hat? Der Pfarrer erhält doch, denke ich, Geld für Taufen, Kommunionen,
     Hochzeiten und Begräbnisse.«
    »Sicher«, sagte Figulus, »das, was wir die Kasualien nennen, und die sind nicht unerheblich, sogar auf einem Dorf, wo die
     Leute, weil sie so arm sind, lange brauchen, bis sie bezahlen – wenn sie bezahlen.«
    »Und es gibt doch noch den Zehnten, Herr Vikar!«
    »Ach, der Zehnte!« rief Figulus und hob die Arme zum Himmel. »Darüber gäbe es viel zu sagen. Aber, um Vergebung, Herr Graf,
     ich möchte mich hierzu nicht mehr als nötig äußern. Es wäre zu gefährlich. Als eine Art Tagelöhner der Kirche verdiene ich
     nicht viel, und dieses Wenige möchte ich nicht verlieren.«
    Woraufhin ich keine bessere Antwort wußte als meinen Figulus beim Arm zu fassen, ihn zu einem Lehnstuhl am Feuer zu führen
     und zum Setzen zu nötigen. Dann nahm ich ihm gegenüber Platz und sagte zugleich entschlossen und heiter: »Nein, Herr Vikar,
     keine Ausflucht: Ich bin Herr auf diesem Gut und will wissen, was hier vorgeht, denn die Kirche erhebt den Zehnten ebenso
     von den Erträgen meiner Leute wie von den meinen.«
    »Nein, nein, Herr Graf, Ihr seid nicht zehntenpflichtig, weil Ihr nicht mit Euren Händen arbeitet und zum Leben nicht auf
     die Früchte des Feldes angewiesen seid: Den Zehnten leisten nur Eure Pächter und Halbpächter.«
    »Aber, wenn die Ernte meiner Pächter beschnitten wird, beraubt das nicht ein wenig auch mich?«
    »Nicht, wenn Ihr, Herr Graf, Euren Teil der Ernte von dem Pächter fordert, bevor der Zehnteintreiber des Bischofs kommt.«
    »Darf ich denn das?«
    »Nein, es ist verboten. Der Zehnteintreiber hat als erster dranzukommen. Aber man kann sich ja einigen …«
    »Zehnteintreiber, kein freundliches Wort! Hört es sich nicht nach Gewalt an?«
    »Ach, Herr Graf, der Zehnteintreiber braucht keine Gewalt. Er ist, im Gegenteil, ein würdiger, gewissenhafter Mann, der niemanden
     beleidigt. Er fordert das der Kirche Geschuldete, nicht mehr, nicht weniger, und das ganz sanftmütig, ohne die Stimme zu heben.«
    »Und wie geht das zu?«
    |84| »Nun, am Erntetag werden die Garben zu Puppen aufgestellt, je neun zu einer, denn der Zehnte wird auf neun erhoben, dann wartet
     man auf den Karren des Zehnteintreibers. Der kommt mit mageren Ochsen gefahren, von einem ebenso mageren Häusler kutschiert,
     und daneben reitet, ganz in Schwarz, mit kurzgeschorenem Haar, strengem Antlitz und auf einem schlichten Maultier der Zehnteintreiber.
     Er steigt ab, grüßt die Leute, geht über die abgeernteten Felder und verlangt von jeder Puppe eine Garbe, die der Häusler
     auf den Karren lädt. Dann grüßt der Zehnteintreiber würdig, besteigt sein Maultier und reitet weiter, von aller Augen verfolgt.«
    »Mit einiger Erbitterung, wette ich!«
    »Früher nicht allein mit Erbitterung! Sondern mit regelrechten Aufständen, die im Blut erstickt wurden.«
    »Und heute?«
    »Oh, heute, Herr Graf, gibt es die Mogelei, die heilige Mogelei.«
    »Ah, so nennt Ihr das, Herr Vikar!« sagte ich lachend.
    »Wie soll man es sonst nennen? Jedenfalls können unsere Bauern nicht anders überleben.«
    »Und wie mogeln sie?«
    »Auf alle mögliche Weise. Ist das Wetter, zum Beispiel, trocken genug, richten sie es ein, daß sie mit der Ernte erst bei
     einbrechender Dunkelheit fertig werden, und über Nacht stehlen sie sich selbst ein paar Garben, so daß diese am nächsten Morgen
     dem Zehnten entgehen.«
    »Nicht dumm.«
    »Oder sie verstecken die dicksten Garben in der Mitte der Puppe und stellen für den Zehnteintreiber außen herum die dünnen.«
    »Auch nicht schlecht. Und welche Früchte des Feldes, Herr Vikar, sind zehntenpflichtig?«
    »Alle, Herr Graf! Alle Getreidesorten, dann Wein, Nüsse, Obst, Tierhäute, Flachs und Jungvieh.«
    »Was versteht man unter Jungvieh?«
    »Alle neugeborenen Tiere des Jahres.«
    »Alle?«
    »Alle, außer denen, die man wegmogeln kann.«
    »Aber wie kann die Kirche einen Fischzug von solchem Umfang rechtfertigen?«
    |85| »Herr Graf, darf ich Euch daran erinnern, daß nicht die Kirche dies eingeführt hat,

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