Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosen des Lebens

Rosen des Lebens

Titel: Rosen des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
stirbt im ersten Lebensjahr.
     Das kommt, weil die Milch nicht gut ist, die Mütter sind zu schlecht ernährt. Außerdem halten die Leute sich sehr zurück.
     Ein Neugeborenes wird übel empfangen, |78| denn es zehrt vom Teil seiner Eltern und zehrt immer mehr, je größer es wird.«
    »Sie halten sich zurück? Inwiefern, Herr Pfarrer?«
    »Herr Graf«, sagte Séraphin lächelnd, »meine Beichtkinder werden mir in der Beichte nicht sagen, daß sie den
coitus interruptus
praktizieren, erstens, weil sie kein Latein können, und zweitens, weil sie nicht wissen, daß das eine Sünde ist. Und weil
     sie diese Sünde nicht beichten«, fuhr er verschmitzt fort, »kann ich sie ihnen nicht verbieten. Auf diese Weise haben wir
     nicht mehr als zwei oder drei Geburten pro Jahr.«
    »Sind meine Leute so elend dran?« fragte ich.
    »Ja, leider, die meisten sind arme Häusler. Sie haben ein kleines Stück Acker, eine kleine qualmige Hütte, wo Mensch und Tier
     dicht beisammen wohnen, und leben davon, daß sie die Kraft ihrer Hände vermieten. Aber es gibt hier auch fünf, sechs reiche
     Bauern, die Ar genug zum Leben haben. Ob die Ernte gut ist oder schlecht, die kommen immer auf ihre Kosten.«
    »Auch wenn sie schlecht ist?«
    »Weil diese Bauern dann weniger Tagelöhner anstellen und sie schlechter bezahlen. Nachher verkaufen sie ihren Weizen nicht,
     sondern warten, bis er teuer wird, und ist der Preis hoch genug, dann borgen sie ihn den Hungernden gegen Pfand.«
    »Gegen Pfand?«
    »Ein Wäldchen, einen Acker, den der Häusler besitzt und der dann ziemlich sicher den Besitz des Bauern abrundet, weil der
     Borger das Geborgte nie mehr erstatten kann.«
    »Hat der Verwalter Rapinaud es im Namen des Grafen von Orbieu auch so gehalten?«
    »So hat auch er es gehalten, mit dem Weizen des Grafen von Orbieu, aber auf eigene Rechnung. Und die Pfänder mehrten seinen
     Besitz und nicht den seines Herrn.«
    »Mein Wort! Den lasse ich ausspucken!«
    »Herr Graf«, sagte Séraphin, indem er die Stimme senkte, als ob der Betroffene ihn hören könnte, »das wird nicht so einfach
     sein. Rapinaud prozessiert für sein Leben gern, und so ein Prozeß kann Jahrzehnte dauern. Lieber kauft ihm seine Felder ab,
     wenn Ihr könnt.«
    »Ich überlege es mir«, sagte ich. »Aber, noch etwas: Warum sind unter den Leuten so viele Bucklige?«
    |79| »Weil sie zu jung, zu lange und zu schwer arbeiten. Sie werden krumm fürs Leben.«
    »Herr Pfarrer«, sagte ich, ziemlich bedrückt von allem, was ich gehört hatte, »ich danke Euch tausendmal für Eure Hilfe.«
    Ich drückte ihm ein paar Geldstücke in die Hand, damit er eine Messe lese und Gott bitte, daß es dem Gut Orbieu und seinen
     Ärmsten künftig besser ergehen möge.
    In meinem Zimmer, das ich mir ausgesucht hatte, weil seine Fenster nach Süden lagen – was allerdings im Februar kaum Wärme
     brachte –, fand ich trotz der späten Stunde ein großes Feuer und Louison, die mit dem Bettwärmer meine Decken anwärmte.
    »Nanu, Louison, was machst du hier?« fragte ich streng.
    »Herr Graf sieht es doch: ich wärme sein Bett. Und vorher habe ich ein großes Feuer gemacht, seine Kleider in den Schrank
     gehängt, und jetzt werde ich ihm die Stiefel ausziehen, ihn auskleiden und vorm Feuer mit Duftwasser abreiben. Wäre das dem
     Herrn Grafen angenehm?«
    »Ja, unter der Bedingung, daß du nicht in der dritten Person zu mir sprichst. Und beeile dich: Ich sterbe vor Müdigkeit und
     Kälte.«
    Sie rieb mich ab, bis mir die Haut glühte. Das Mädchen war klein, flink und frisch, und sie tat mir wohl. Sowie sie, rot vor
     Anstrengung, fertig war, kroch ich unter die warme Decke, sie aber blieb mit hängenden Armen und gerunzelter Stirn vorm Feuer
     stehen.
    »Was stehst du noch da und schmollst?« fragte ich. »Willst du nicht schlafen gehen?«
    »Und wo, bitte?« fragte sie trotzig, »in einer Mansarde ohne Feuer, und allein? Mariette ist bei ihrem Caboche, Margot bei
     Ihr wißt schon wem. Und ich, soll ich vor Kälte eingehen ohne jemanden, der mich wärmt?«
    »Louison«, sagte ich, »du weißt doch, daß wir unsere süßen Gewohnheiten abbrechen mußten, als die Gräfin verlangte, daß ich
     ihr Treue schwöre.«
    »Ja, ja!« sagte sie, »aber der Schwur, der war für Paris. Der gilt nicht in Orbieu.«
    »Alle Wetter!« rief ich und mußte laut lachen, so müde ich war, »welch wundersamer Unterschied! Was gäbst du für einen Advokaten
     ab, Louison!«
    |80| Als sie sah, daß meine Heiterkeit

Weitere Kostenlose Bücher