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Rosen des Lebens

Rosen des Lebens

Titel: Rosen des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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sagte
     oder was ich zu sagen hatte. Welche dauernde Verschleppung zwischen Befehl und Ausführung! Außerdem, wieviel Macht würde dieses
     ständige Dolmetschen Séraphin über mich verleihen? Er hatte ohnehin schon genug in meinem Herrschaftsbereich.
    Nicht, daß ich fürchtete, er könnte sie ausnutzen. Gleich bei diesem ersten Gespräch hatte ich das Gefühl, das sich in der
     Folge bestätigte, daß ich es mit einem redlichen Mann zu tun hatte, der sich bemühte, seine Amtspflichten aufs beste zu erfüllen.
     Gewiß hatte er dabei seine Interessen im Auge, aber ohne Habgier. Er sorgte sich um das Heil seiner Herde, aber auch um ihr
     irdisches Dasein, ihr Wohl und Wehe, und wußte, wie verheerend eine schlechte Ernte, eine Seuche oder ein Unfalltod ihr gefährdetes
     Leben treffen konnte, war doch schon das tägliche Brot übers Jahr für sie ein schweres Problem.
    Vom Äußeren her war Pfarrer Séraphin ein beeindruckender Mann, breite Schultern, stattliche Brust, eine kräftige, wohlklingende
     Stimme (was er auskostete, wenn er die Messe sang), ein massiges Gesicht, durchdringende, ja bezwingende braune Augen, ein
     üppiger Mund, drahtige Haare. Monsieur de Saint-Clair hatte gemeint, er habe keinen »übermäßigen Hang zur Flasche oder zur
     Weiblichkeit«. Aber wenn ich mir seine starke Nase und seine hochrote Farbe ansah, fragte ich mich, ob dieses Karmin nur von
     der frischen Landluft kam, und wenn ich mich entsann, wie er unsere Damen beim Eintritt in die Sakristei betrachtet hatte,
     wie seine Lider sich gar nicht so schnell wie geboten vor dem plötzlichen Glanz in seinen Pupillen senkten, schien es mir
     nicht sehr erwiesen, daß er nach der Seite hin keine Schwäche haben sollte. Aber war das sein Fehler? Erst in meinem späteren
     Leben sah ich in diesem Jahrhundert hier und dort Seminare entstehen, wo die Priester zum Zölibat verpflichtet wurden, und,
     was noch erstaunlicher war, ich |73| sah Prälaten in den Bischofssitzen, die über die Sitten der Pfarrer wachten. Sind sie darum bessere Hirten ihrer Schäflein
     geworden? Das kann ich nicht sagen. Ich war immer der Meinung, daß Enthaltsamkeit eine sehr unerquickliche Tugend ist, wenn
     sie nicht in eine größere Menschenliebe mündet.
    Die Sakristei hatte zwei Türen zur Kirche. Durch die erste, die ins Schiff führte, befahl Pfarrer Séraphin seinem Diener Figulus
     – was er sonst noch alles war, wußte ich damals noch nicht –, meine Verwandtschaft zu geleiten, damit sie auf den Schemeln
     der ersten Reihe Platz nähme. Hiernach ließ Séraphin mich durch die zweite Tür gehen, die in den Chor führte, nicht ohne mir
     vorher einige Anweisungen zu geben.
    »Herr Graf, erlaubt mir, Euch zu sagen, wie der selige Graf von Orbieu es machte, wenn er in seiner Herrschaft weilte. Er
     betrat als erster den Chor mit dem Hut auf dem Kopf, er zog den Hut, wenn er vorm Altar niederkniete, dann setzte er ihn wieder
     auf und begab sich zu dem bischöflichen Sitz unterm Baldachin. Dort schwenkte er, noch stehend, tief den Hut vor dem Wappen
     seiner Familie, das Ihr unfehlbar auf einem Gemälde gegenüber seinem Sitz erkennen werdet. Hierauf bedeckte und setzte er
     sich und blieb bedeckt bis zur Wandlung. Vielleicht sollte ich hier erklären, daß der selige Graf mit dem Gruß an sein Wappen
     seinen Vorfahren Ehre erwies, die alle, oder fast alle, unter dem Chor bestattet liegen.«
    »Verstehe ich Euch recht, Herr Pfarrer?« sagte ich erstaunt. »Ihr meint, ich sollte es ebenso machen?«
    »In der Tat, das wollte ich Euch raten, Herr Graf«, sagte Séraphin mit einer kleinen Verneigung. »Und zwar aus dem Grund,
     weil Eure Leute fest am Brauchtum hängen. Auch wenn Euch kein Blutsband mit dem Grafen von Orbieu verbindet, werden sie an
     Eure Legitimität leichter glauben, wenn sie sehen, daß Ihr es macht wie der selige Herr.«
    »Dann will ich mich daran halten«, sagte ich nach einem Schweigen, »vielleicht mit einer eigenen kleinen Nuance.«
    Hier flog über Séraphins massiges rotes Gesicht ein Schein von Beunruhigung, die er jedoch nicht zum Ausdruck brachte. Statt
     dessen fragte er, ob ich mich nicht sammeln wolle, bevor ich den Chor beträte. Ich stimmte zu, kniete auf einem Betstuhl vor
     einem großen hölzernen Kruzifix nieder und verharrte einen Augenblick, weniger zum Beten als um nachzudenken.
    |74| Ich fand es seltsam verwirrend, daß die Macht, die ich nun als Herr eines kleinen Reiches von fünfhundert Ar und fünfhundert
    

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