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Rosen des Lebens

Rosen des Lebens

Titel: Rosen des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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sondern Karl der Große. Zur Entschädigung
     dafür, daß er einen Großteil ihres Grundbesitzes geräubert hatte.«
    »Eine Entschädigung zu Lasten der armen Bauern.«
    »Wessen sonst, Herr Graf?« sagte Figulus, ein dünnes Lächeln im bleichen Gesicht.
    Was im Klartext besagte, daß Karl der Große seinem Schwertadel diese Bürde nicht auferlegen wollte, dazu brauchte er seine
     Recken zu nötig.
    »Immerhin, Herr Vikar«, fuhr ich fort, »glaubt Ihr nicht, daß es für diesen gewaltigen Zehnten, der die Kirche zur reichsten
     Institution Frankreichs macht – reicher sogar als der König –, einer religiösen Rechtfertigung bedürfte?«
    »Die gibt es! Zumindest hat man eine gefunden. Und wenn es Euch beliebt, Herr Graf, könnt Ihr sie selbst nachlesen in der
     Genesis, Kapitel XIV, Vers 20. Dort heißt es, daß Abraham nach seinem Sieg über die Könige, die seinen Neffen Lot entführt
     hatten, riesige Beute machte und daß er den Zehnten davon Melchisedech gab, dem Priester des Allmächtigen.«
    »Aber dabei handelte es sich um Beutegut und nicht um die Früchte, die der Mensch durch Mühe und Arbeit der Erde abringt.«
    »In der Tat. Aber es gab schwarz auf weiß noch eine andere Rechtfertigung, die den Gebrauch des Zehnten festlegt: Er solle
     verwendet werden, heißt es da, zum Unterhalt der Priester, zur Instandhaltung der Gebäude des Kults und zur Erleichterung
     der Armen.«
    »Zur Erleichterung der Armen, die der Zehnte arm gemacht hat!«
    »Um gerecht zu sein, Herr Graf: Der Zehnte wurde seiner rechtmäßigen Bestimmung nicht immer entzogen. Pervertiert wurde der
     Brauch erst seit dem Konkordat, das Franz I. das Recht zusprach, Bischöfe zu ernennen. Denn fortan – wer weiß das nicht? –
     erfolgten diese Ernennungen nicht mehr nur im Interesse der Religion. Die Könige besetzten die Bistümer und Klöster mit nachgeborenen
     Söhnen aus großem Haus oder aus dem Amtsadel, der ihm gut gedient hatte. Damit siegte, wenn ich so sagen darf, der Bauch über
     das Herz. Ein Bistum wurde als Pfründe betrachtet und nicht mehr als ein dienendes, schon |86| gar nicht als ein heiliges Amt. Und der Zehnte wurde fast in Gänze von jenen eingestrichen, die ihn einsammelten. Man kümmerte
     sich nicht mehr um die Bedürftigen. Man hielt die Orte des Kultes nicht mehr instand. Und, damit Ihr es wißt, Herr Graf, Pfarrer
     Séraphin rechnet mit Eurer Freigebigkeit, um unser Kirchendach zu reparieren.«
    Ich lachte.
    »Ich bewundere, Herr Vikar, wie Ihr die Dinge beim Namen nennt. Aber kommen wir zurück auf den Zehnten: Er wird doch vom Bistum
     nicht ganz eingestrichen, soviel ich weiß, einen Teil davon erhalten die Pfarrer.«
    »Gezwungenermaßen! Wer wollte Pfarrer sein, ein schweres Amt, wenn er für seine Mühen nichts bekäme? Aber der Pfarrer erhält
     nur einen winzigen Teil von dem, was in seiner eigenen Gemeinde eingesammelt wird.«
    »Ist das nicht der Teil, den man das ›Gros‹ nennt?«
    Unerwartet lachte Herr Figulus auf.
    »Ach, Herr Graf!« sagte er und schlug sich die lange Hand vor den Mund, »tausendmal um Vergebung für diese Heiterkeit! Aber
     diesen Teil das ›Gros‹ zu nennen ist ein Witz, denn ich kann Euch versichern, daß dieses ›Gros‹ winzig ist.«
    »Verstehe ich Euch recht, Herr Figulus? Der Herr Pfarrer würde ohne seine Leibrente ziemlich schlecht leben, wenn er auf sein
     ›Gros‹ angewiesen wäre? Vielleicht ist das der Grund, weshalb die hohe Geistlichkeit verlangt, daß die Pfarrer eine Leibrente
     mitbringen: Je mehr sie haben, desto weniger muß man ihnen geben. Und Ihr, Herr Figulus, erhaltet Ihr als Vikar ein ›Gros‹,
     wenn auch geringer als das des Pfarrers?«
    »Ich?« sagte Figulus, »ich erhalte keinen blanken Heller. Für das Bistum existieren Vikare offenbar nicht.«
    »Aber, wer bezahlt Euch dann?« fragte ich verblüfft.
    »Herr Pfarrer Séraphin, aus der eigenen Tasche.«
    »Und darf ich fragen, wieviel er Euch zahlt?«
    »Mehr als sein Onkel«, sagte Figulus, verschlossen wie eine Auster.
    Also recht mager, wenn man wußte, daß besagter Onkel sein Leben lang ungemein knickrig gewesen sein soll, auch wenn er auf
     dem Totenbett für seinen Neffen sorgte.
    »Ihr werdet einsehen, Herr Graf«, fuhr Figulus mit gezwungener Stimme fort, »daß, wenn man erführe, was ich Euch hier |87| offenherzig gesagt habe, mir nichts anderes übrigbliebe, als Stock und Bündel zu nehmen und auf den Straßen zu betteln.«
    »Seid unbesorgt, Herr Vikar«, sagte ich

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