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Rosen des Lebens

Rosen des Lebens

Titel: Rosen des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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lebhaft, »außer meinem Vater werde ich niemandem etwas hiervon mitteilen, und auch
     er wird stumm sein wie ein Grab. Darauf gebe ich Euch mein Wort.«
    »Tausend Dank, Herr Graf«, sagte Figulus, indem er sich ernst verneigte, und er fügte hinzu: »Darf ich Euch jetzt um Urlaub
     bitten? Herr Pfarrer Séraphin könnte sonst Verdacht schöpfen und unmutig werden, wenn ich länger bei Euch bliebe.«
    Dies gab mir über Pfarrer Séraphin sehr zu denken, doch hütete ich mich, es mir anmerken zu lassen, und undurchdringlichen
     Gesichts sagte ich: »Richtet dem Herrn Pfarrer aus, daß ich Euch von nun an jeden Morgen hier erwarte, damit Ihr mich im hiesigen
     Platt unterrichtet, womit wir heute bereits begonnen haben. Sagt ihm aber nicht, daß ich Euch dafür im voraus bezahlt habe.«
    Damit drückte ich ihm einen Ecu in die Hand. Nie sah ich einen Menschen tiefer erschrocken. Figulus blickte wie ungläubig
     auf das hellblinkende Goldstück in seiner Hand. Und, seltsam, dann nahmen seine Augen einen so unglücklichen Ausdruck an,
     daß ich dachte, er würde mir das Stück zurückgeben.
    »Herr Graf«, sagte er endlich mit erstickter Stimme, »wenn das, wie mir scheint, ein Ecu ist, kann ich ihn nicht gebrauchen.«
    »Wieso könnt Ihr ihn nicht gebrauchen, Herr Figulus? Bringt Euch dieses Geldstück nicht ein bißchen Speck in die Suppe?«
    »O doch, Herr Graf! Aber vorher müßte ich es in sechzig kleine Sous einwechseln, und an wen könnte ich mich deshalb wenden,
     wenn nicht an den Herrn Pfarrer oder aber, was noch schlimmer wäre, an einen reichen Bauern? Jedenfalls würde es ganz Orbieu
     erfahren, und ich lüde auf mein Haupt soviel Neid, Bosheit und Nachstellung, daß ich das Dorf am Ende verlassen müßte.«
    Alle Wetter, dachte ich, ist es in diesem Dorf denn genauso wie am Hof? Sowie einem ein Glück oder ein Vorteil zufällt, will
     jeder einem nur Böses.
    »Nun«, sagte ich rasch, »zerbrechen wir uns deswegen nicht den Kopf. Ich kann Euch wechseln.«
    |88| So nahm ich das Goldstück aus seiner Hand, ohne daß er sich zu rühren wagte, und zählte ihm sechzig Sous auf, die er, aus
     seiner Erstarrung erwacht, sorgsam auf die vier Taschen seiner Soutane verteilte, die so abgeschabt und fadenscheinig war,
     daß er sie wohl nicht mehr zu bürsten wagte, damit sie nicht in Fetzen fiel.
    Als ich meinem Vater von diesem Gespräch berichtete, nickte er und sagte: »Und der Zehnte ist noch nicht das Ärgste für den
     Bauern, sondern die königliche Steuer. Der Zehnte wird in Naturalien geleistet, die Steuer dagegen in barer Münze, und davon
     hat der Bauer wenig. Sogar wenn er am Essen knapst und seine Milch, seine Eier und Hühner verkauft, fehlen ihm trotzdem immer
     noch neunundfünfzig Sous zu einem Ecu.«
    »Und der Zins, den er dem Grundherrn schuldet?«
    »Den zahlt er auch in Naturalien, der ist mit dem Zehnten und der königlichen Steuer nicht zu vergleichen, zumal der Bauer
     ihn im Winter ebenso durch Arbeit ableisten kann.«
    »Dieser Figulus«, sagte La Surie auf einmal, »leidet unter dem schlimmsten Unglück, das einen Menschen treffen kann: Er hat
     viele Verdienste und weiß, daß diese Verdienste niemals anerkannt werden.«
    »Gott sei Dank werden es die Euren«, sagte mein Vater nach einem Schweigen.
    Dann setzte er, an mich gewandt, hinzu: »Das mit Figulus habt Ihr gut gemacht, und dieser Ecu ist gut aufgehoben. Haltet Euch
     den Vikar. Immer wenn Ihr nach Orbieu kommt, wird Figulus Euch die Kehrseite der Medaille aufdecken.«
    ***
    Ich verließ Orbieu mit dem Glossar von Figulus im Gepäck, mit einigen Illusionen weniger und einigen Einsichten mehr. Denn
     mir war nun völlig klar, daß ich aus meinem Besitztum nicht das machen konnte, was ich wollte, wenn ich nicht nur tüchtig
     Geld aufwandte, sondern auch viel Zeit, längere Aufenthalte und endlose Mühen und Sorgen.
    Ich bin nicht fühllos gegen das Elend der Menschen oder gegen die Ungerechtigkeit, daß die einen in Strohhütten geboren werden,
     die anderen in goldschimmernden Palais, zwischen |89| Seide, Spiegeln und Lüstern, und keine andere Beschäftigung haben – wenigstens in Friedenszeiten –, als mit den schönsten,
     erfahrensten und sicherlich besternährten Damen des Reiches vergnügliche Affären anzuspinnen. Aber ich bin auch kein Bérulle,
     Vincent oder Franz von Sales, und ich verhehle gar nicht, daß ich mein Gut Orbieu ertragreich machen will, was zuerst mir
     zugute kommt. Nur will ich diesen Wohlstand nicht

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