Rosen des Lebens
Ende meiner Tage.«
»Und wie steht es mit Euren Bauern?«
»Sie sind sehr elend dran, Sire.«
»Ich weiß noch«, sagte Ludwig mit andächtiger Miene, »wie mein Vater gesagt hat, der Bauer in Frankreich solle jeden Sonntag
sein Huhn im Topf haben.«
»Ach, Sire! Hätten sie ihr Huhn im Topf wenigstens einen Sonntag im Jahr! Und was die Pfarrer angeht, so ist das, was der
Bischof ihnen vom Zehnten läßt, so wenig, daß keiner Pfarrer werden kann, der nicht eine Rente mitbringt.«
»Oh, das ist schlecht!« sagte Ludwig, den die Armut der Pfarrer offenbar mehr rührte als die Not der Bauern.
Nun ja, er war sehr fromm, und so vergaß er meine Worte über das »Gros«, das so gering war, nicht: Einige Zeit darauf erließ
er ein Edikt, das den Bischöfen befahl, den Pfarrern einen »angemessenen Teil« des Zehnten zu geben. Trotzdem war dem niederen
Klerus damit wenig gedient, denn auch der »angemessene Teil« lief nur auf einen kaum ausreichenden Teil hinaus.
Nach dem Frühstück ging Ludwig die Königin besuchen, und weil von seinen vier Kammerherren nur ich anwesend war, folgte ich
ihm und wurde derweise Zeuge einer Szene, die mich sprachlos machte.
Als Ludwig die Schwelle seiner Gemahlin überschritt, stand er quasi Nase an Nase Madame de Luynes gegenüber, die sogleich
anmutig in die Knie sank, wobei ihr Reifrock sich gleich einem Blütenkranz um ihre schlanke Taille bauschte. Gleichzeitig
hob sie den Kopf zu ihm und schenkte ihm wimpernschlagend ein so zärtliches, so einschmeichelndes und strahlendes Lächeln,
daß er ein Fels hätte sein müssen, um nicht betört zu sein. Und indem sie ihre Hand halb dem König hinstreckte, bekundeten
ihre Purpurlippen durch eine rasche, höchst einladende Bewegung ihre Ungeduld, daß er die seinen darauf lege, auf daß sie
ihn küsse.
|92| Ludwig hielt inne, ließ von seiner ganzen Höhe herab einen eisigen Blick auf Madame de Luynes fallen, machte ihr eine ganz
knappe Verneigung, dann ging er ohne jedes Wort an ihr vorüber und trat bei der Königin ein.
Ich war starr vor Staunen. Obwohl ich noch nicht wußte, was zwischen ihnen vorgefallen war, während ich mich in Orbieu aufhielt,
pochte mir das Herz ob der grausamen Demütigung, die er der de Luynes erteilt hatte. Was war in so kurzer Zeit nur aus der
großen Leidenschaft geworden, die er ihr vorher bezeigt hatte, sehr zum Leidwesen der Königin, des spanischen Gesandten, des
päpstlichen Nuntius, des königlichen Beichtvaters und durch ihn der Gesellschaft Jesu – bevor man endlich erfuhr, daß diese
Liebe, so groß sie auch sei, doch platonisch war. Ach, arme de Luynes! So unkörperlich dieses Gefühl auch gewesen war, konnte
es sich doch wie eine fleischliche Bindung in wahren Haß verwandeln, davon war ich soeben Zeuge geworden. Es war – ohne Tronçons
Beteiligung – die härteste Tronçonnade, die ich in den Anfangsjahren dieser Herrschaft beobachtete. Und wenn ich auch allmählich
ahnte, welche Scharen von unbezwinglichen kleinen Dämonen sich hinter der so reinen Stirn und den so blauen Augen von Madame
de Luynes tummelten, konnte ich nicht umhin, in diesem Moment Mitleid mit ihr zu empfinden. Das ich ihr allerdings nicht bewahren
konnte, so vieler Ärgernisse machte sie sich im weiteren schuldig.
Zurück im väterlichen Hause, fand ich ein Billett vor, das ein kleiner Bote in meiner Abwesenheit überbracht hatte, und als
ich es öffnete, erkannte ich die unleserliche Schrift und die sehr eigene Orthographie meiner lieben Patin:
Mein Söngen,
enlicht Zurik! komd Mogenmitak elf ur. ih wil mid Euch schbeisn.
Catherine de Guise.
Wenigstens ihren Namen konnte sie richtig schreiben. Dafür hatte wohl noch der selige Herzog gesorgt.
Selbstverständlich war dies ein Befehl, nicht etwa eine Bitte, und es kam gar nicht in Frage, sich ihm zu entziehen, indem
ich vorbrachte, was dennoch der Fall war, daß ich um dieselbe Zeit eigentlich zum Rat des Königs erscheinen müßte. Meine |93| teure Patin, geborene Prinzessin von Bourbon und durch ihren Gemahl Herzogin von Guise, hätte niemals eingesehen, daß Staatsgeschäfte
ihren privaten Angelegenheiten vorgingen. Mit dem vereinten Hochmut der beiden mächtigsten Häuser Frankreichs hatte sie einmal,
als Maria von Medici sie zum Gehorsam rufen wollte, geantwortet, sie habe »keine andere Herrin als die Jungfrau Maria«.
Weil ich sie zur Genüge kannte, wandte ich vor meinem Besuch die höchste Sorgfalt
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