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Rosen des Lebens

Rosen des Lebens

Titel: Rosen des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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gestützt, führte Ludwig die Schale an seine Lippen
     und trank begierig, denn Doktor Héroard hielt die Flüssigkeitsmenge in Grenzen, die er täglich zu sich nahm, warum, weiß ich
     nicht. Berlinghen nahm ihm die leere Schale ab, Héroard wollte sein Handgelenk fassen, um ihm den Puls zu fühlen, aber Ludwig
     entzog ihm die Hand und sagte schroff: »Mir geht es sehr gut.«
    Für mich nahte der Moment, an seinem Kopfende niederzuknien und zu sagen: »Sire, ich wünsche Euch eine gute Nacht«, worauf
     er zu antworten pflegte: »Gute Nacht, Sioac«, oder auch zeremoniell, je nach seiner Laune: »Gute Nacht, Graf von Orbieu.«
    Doch bevor ich auch nur das erste Wort aussprechen konnte, erfolgte einer jener Theatercoups, die in unserem einförmigen Leben
     so selten und in den Tragödien, mit denen wir uns zerstreuen, so häufig sind: Monsieur de Luynes trat ein, fast möchte ich
     sagen, fiel wie der Deus ex machina der antiken Komödie vom Bühnenhimmel, ging stracks auf das Bett des Königs zu, faßte ihn
     mit beiden Händen bei den Schultern und sagte, indem er ihn schüttelte, mit starker Stimme: »Pfui, Sire, Ihr werdet jetzt
     nicht schlafen! Versprochen ist versprochen! Sofort erhebt Ihr Euch und geht zur Königin!«
    »Ich will nicht! Ich will nicht!« schrie Ludwig und versuchte sich loszumachen.
    Héroard, die beiden Diener und ich waren starr, daß Luynes es wagte, Hand an den König zu legen, denn das war ein Majestätsverbrechen.
     Weil wir aber nicht wußten, welchen Grad von Vertraulichkeit Ludwig seinem Günstling gestattete, und weil Ludwig sich zwar
     mächtig wehrte, uns aber durchaus nicht zu Hilfe rief, rührte keiner von uns sich von seinem Platz und |179| schaute der Szene zu, indem einer dem anderen verblüffte und entrüstete Blicke zuwarf.
    »Pfui, Sire, pfui!« schrie Luynes. »Ihr habt es versprochen.«
    »Ich will nicht! Ich will nicht!« schrie der König, der sich wie verzweifelt gegen Luynes’ Versuche wehrte, ihn von seinem
     Lager hochzuziehen.
    Trotzdem beobachtete ich, daß Ludwig in keiner Weise daran dachte, sich der königlichen Würde zu besinnen und Luynes zu befehlen,
     er solle ihn loslassen, mit jenem Ton und Blick, die uns, wenn er sie gebrauchte, in die Erde kriechen ließ. Ganz im Gegenteil,
     er wehrte sich gegen ihn mit wütender und erbitterter Miene und gemahnte mehr an ein Kind, das sein Erzieher aus dem Schlaf
     reißen will, um es zu verprügeln, denn an einen König.
    Luynes siegte: Er brachte Ludwig tatsächlich von seinem Lager hoch, und während er seine Hände fest umklammert hielt, erteilte
     er Befehle. Leser, Sie haben richtig verstanden, er wagte es, im Gemach des Königs zu befehlen.
    »Berlinghen, den Degen Seiner Majestät! Soupite, den Leuchter! Héroard, werft Seiner Majestät ein Hausgewand um! Siorac, helft
     mir!«
    Und als er mich zögern sah, wiederholte er: »Helft mir, Siorac! Es geht um das Heil der Krone!«
    So näherte ich mich denn dem König und befragte ihn mit einem Blick, ob ich Luynes gehorchen solle, doch er erwiderte meinen
     Blick nicht, er weinte. Vor Zorn oder vor Demütigung, was weiß ich, aber die Tränen rannen ihm wie dicke Erbsen übers Gesicht,
     und jäh begriff ich, daß nur sein Körper widerstand und kämpfte. Sein Kopf willigte ein, sogar in die Gewalt, die man ihm
     antat. Also faßte ich seinen linken Arm beim Handgelenk und legte ihn mir um die Schulter, während Luynes es mit seinem rechten
     Arm ebenso machte. Und hinter Soupite, der uns leuchtete, gefolgt von Berlinghen mit dem Degen des Königs, hoben wir Seine
     Majestät hoch und schleppten ihn quasi bis zum Zimmer der Königin und über die Schwelle bis vor ihr Lager.
    Es waren außer der Königin, die erwacht war und uns anblickte, als wären wir vom Mond gefallen, nur eine sehr alte spanische
     Kammerfrau, Stéphanilla geheißen, glaube ich, und Madame du Bellier, die Erste Kammerfrau, zugegen. Wir gaben |180| dem König die Freiheit kurz vor dem Himmelbett wieder, in dem Anna ruhte. Der Leuchter zu ihren Häupten umgab ihre blonden
     Haare mit einer Aureole. Bei unserem Eintritt kreuzte sie die Hände über ihrer Brust und setzte sich auf, wobei ihre großen
     blauen Augen vor Überraschung gleichsam aus den Höhlen traten. Ludwig schien bei ihrem Anblick von Bewunderung ergriffen,
     weil er sie aber betrachtete, ohne einen Ton zu sagen, ohne sich zu rühren oder sich ihr weiter zu nähern, zog Luynes ihm
     vor Ungeduld im Handumdrehen das Nachtgewand

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