Rosen für die Kaiserin
nichts auf eine verfrühte Niederkunft hingedeutet hatte. Nervös rannte Otto umher und gab jedem, der ihm begegnete, sinnlose Befehle, bis die mit dem Gefolge eingetroffene Eunice den Mut hatte, ihn vor die Tür zu bitten.
Als die Hebamme eintraf, ein altes Mütterchen aus einem der benachbarten Weiler, presste sich das Köpfchen des Säuglings bereits aus Theophanus Schoß.
»Beiseite!« Die Hebamme vertrieb die aufgeregten Dienerinnen.
Theophanu keuchte.
»Um Himmels willen, so tu doch etwas«, fauchte Eunice die Hebamme an.
»Dazu bin ich gekommen«, lautete die ungerührte Antwort. Sie machte sich an die Arbeit.
Mit einem Mal erlebte Theophanu das Geschehen um sich herum, als sei sie selbst nicht anwesend. Ein gnädiges Geschick ließ sie keine Schmerzen mehr spüren. Sie hörte Stimmen wie aus weiter Ferne.
»Pressen, Mädchen! Fester!«, rief die Hebamme.
»Sie ist die Kaiserin«, sagte Eunice barsch.
»Und dennoch muss sie pressen.«
Wie viel Zeit verging? Immer wieder tupfte Eunice der Gebärenden den Schweiß von der Stirn. Endlich spürte Theophanu, wie das kleine Wesen aus ihr herausglitt.
»Warum schreit der Knabe nicht? Bring ihn zum Schreien!« Eunice klang höchst beunruhigt.
»Es ist kein Knabe«, erwiderte die Hebamme. »Und ich weiß selbst, was zu tun ist.«
Wie durch einen Schleier beobachtete Theophanu die Hebamme, die mit arthritischen Fingern das kleine nackte Bündel an den Füßen hielt und ihm immer wieder Klapse auf den Po versetzte. Aber das Baby schrie nicht.
»Zwecklos«, meinte die Hebamme nach einer Weile. »Ruft einen Priester für die Nottaufe.«
Theophanu fühlte grenzenlose Trauer. Warum, lieber Gott?, dachte sie. Ein Kind von ihrem Blut – tot! Hatten ihre Widersacher recht? War es ein böses Omen, dass sie keinen Sohn gebären konnte?
Merkwürdigerweise kehrte der Schmerz bald zurück. Theophanu unterdrückte einen Aufschrei. Eunice küsste sie zärtlich auf die Wange.
»Ihr habt es überstanden, Herrin.« Die Worte der Zofe sollten Trost sein, aber die Enttäuschung darin war unüberhörbar. Nicht genug, dass die Kaiserin abermals ein Mädchen zur Welt gebracht hatte, es war überdies noch eine Totgeburt!
»Ruht Euch jetzt aus, Herrin. Es ist vorüber!«
»Von wegen«, zischte die Hebamme. »Es geht weiter!«
Eunice sprang auf. »Wie meinst du das?«
»Deine Herrin hat Zwillinge getragen.«
Eine knappe Stunde später erblickte der Thronfolger das Licht der Welt. Sein hohes Geheul hallte durch das Forsthaus. Inzwischen war auch der Kaiser herbeigeeilt und wiegte stolz den Sohn in seinen Armen, während Eunice ihre Herrin wusch. Theophanu wusste nicht, ob sie wachte oder träumte. Alles schien so unwirklich. Nur der Schmerz in ihrem Schoß wies darauf hin, dass dies kein Traum war.
»Meine Geliebteste!« Immer wieder stammelte Otto, befreit von Sorge und Anspannung, diese hilflosen Worte.
»Der Herrgott hatte ein Einsehen«, flüsterte Theophanu ihm zu. Dann schlief sie erschöpft ein.
Hatte Gott sich wirklich erbarmt? Warum hatte er das Mädchen nicht am Leben gelassen? War die unbefleckte Seele des verstorbenen Kindes der Preis für sein Erbarmen? Doch nein, das konnte nicht sein.
»Der Allmächtige ist kein Krämer«, hatte Gero einmal zu Theophanu gesagt. »Er schachert nicht, erst recht nicht mit Seelen!« Vor vier Jahren war ihr Mentor gestorben; nun sah er aus der Ewigkeit zu ihr herab. Welche Antworten hätte er ihr wohl auf ihre Fragen gegeben?
Theophanu träumte merkwürdige Dinge. Träumte von ihrer fernen Heimat, von ihren Eltern, von ihren Töchtern. Und plötzlich wachte sie auf, weil sie deutlich spürte, dass jemand sie beobachtete.
Vor ihrem Bett stand ein etwa sechsjähriges Mädchen mit rötlichen, struppigen Haaren und einem sommersprossigen Gesicht. In ihren Armen hielt sie einen Säugling. Theophanu und das Mädchen blickten einander in die Augen. Theophanu lächelte ihr zu.
»Bist du ein kleiner Engel?«
»Ich heiße Jutta«, erklärte das Mädchen verzückt.
»Wen … trägst du da in deinen Armen, Jutta?«
»Ach, es ist nur ein Säugling.«
»Ist es mein Junge?«
»Nein, ein Mädchen ist’s.«
Ein Mädchen? War es möglich, dass sie den Tod ihrer Tochter nur geträumt hatte?
»So hat sie also doch überlebt? Ach, hab Dank, mein kleiner Engel.«
Das Mädchen, das Jutta hieß, schwieg. Irgendwie wirkte es verwirrt, fragte aber dann: »Wie heißt Eure Tochter?«
»Sie soll auf den Namen Irene getauft werden.«
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