Rosen für die Kaiserin
Theophanu tastete nach der Silberspange in ihren Haaren, löste sie, hielt sie der Kleinen entgegen. »Das soll sie später daran erinnern, wie glücklich ich war, dass Gott sie am Leben ließ.«
»Nein, das … das geht doch nicht«, sagte das Mädchen kopfschüttelnd.
»Bitte, nimm sie.«
Theophanu schlief wieder ein, nachdem das Mädchen die Spange an sich genommen hatte.
Als sie wieder erwachte, war das Mädchen verschwunden. Eunice saß neben ihrem Bett, auf ihrem Schoß der kleine Luitger. Theophanu bat die Zofe, ihr die Zwillinge zu bringen.
»Der Junge schläft, Herrin«, entgegnete Eunice beklommen. »Es geht ihm gut, seid unbesorgt. Auch ihr solltet noch ruhen, denn Ihr habt Fieber.«
»Das Mädchen …«
»Grämt Euch nicht länger. Es erhielt die Nottaufe und darf bereits Gottes Antlitz schauen.«
»Nein, sie lebt. Irene – ich habe sie selbst gesehen.«
»Es war sicher nur ein Fiebertraum, Herrin. Schlaft!«
Ein Traum? Theophanu tastete nach ihrer Silberspange.
Sie war fort. Nein, kein Traum, dachte sie erleichtert. Eunice musste sich irren.
Zum Glück wich das Fieber bald. Theophanu musste einsehen, dass sie tatsächlich nur geträumt haben musste. Jutta, das fremde Mädchen, und die kleine Irene waren nur ein Trugbild gewesen. Nur eine hämische Vision, entfacht durch die Gehässigkeit des Teufels.
Seltsamerweise blieb der Traum in Theophanus Erinnerung fest bestehen. Und die silberne Haarspange blieb verschwunden.
*
In jener Nacht fällte Jutta die Entscheidung, auf keinen Fall das Leben einer Bäuerin zu führen, wenn sie einmal erwachsen wäre. Zwar waren ihr solcherlei Gedanken schon oft durch den Kopf gegangen, doch nun, da sie von der Kaiserin, von der sagenumwobenen Theophanu beschenkt worden war, stand ihr Entschluss felsenfest. Sie würde alles dafür tun, um in das Gefolge der schönen Frau aufgenommen zu werden. Auf keinen Fall würde sie im Dreck der Äcker arbeiten oder stinkendes Vieh versorgen. Nein, sie würde angenehme Tätigkeiten verrichten, die Kaiserin kleiden, ihr die Haut mit duftenden Ölen einreiben, ihr die glänzenden Haare kämmen und bei allem selbst hübsche Kleider tragen, denn auch die kaiserlichen Dienerinnen glichen edlen Damen. Nie wieder würde sie hungern, nie wieder etwas entbehren müssen. Im Gefolge der Kaiserin brauchte sie sich keine Sorgen mehr zu machen. Eines Tages würde sie das elterliche Haus also einfach verlassen und nie zurückkehren, würde sie sich auf den Weg machen, um die Kaiserin zu suchen.
Das Reich war groß, dessen war Jutta sich bewusst, und sie würde weite Strecken wandern müssen, um die Kaiserin zu finden, aber das würde sie klaglos auf sich nehmen. Immerhin besaß sie zwei Reichtümer – einen Denar und eine Spange aus Silber. Sie würde nicht mittellos in die Welt ziehen. Niemand wusste von dem Schatz unter ihrer Strohmatte. Mühsam hatte sie den ledernen Beutel, eingewickelt in einen alten Lappen, im Lehmboden vergraben. Der Vater hatte ihr Tun nicht bemerkt; zu versunken war er in seine Gedanken.
Auch Jutta vermisste die Mutter sehr, aber Vater wirkte regelrecht hilflos ohne sie. Aus diesem Grund hielt Jutta es für angebracht, die Wiege des Babys neben ihrem Lager zu platzieren. Vorhin war Wirichs Amme da gewesen und hatte das Kind gesäugt, jetzt verbrachte es die zweite Nacht seines Lebens friedlich schlummernd neben der nachsinnenden Schwester, gebettet auf Lupus’ warmem Bärenfell.
»Wenn du brav bist, Magda, und mir nicht auf die Nerven fällst«, flüsterte Jutta dem Säugling zu, »dann nehme ich dich mit zur Kaiserin.«
Ein wenig Mitleid mit dem Vater stieg in ihr hoch. Wenn auch noch seine beiden Töchter ihn eines Tages verließen, was blieb ihm noch? Jutta schob den Gedanken beiseite, ein schlechtes Gewissen konnte sie nicht gebrauchen. Außerdem dauerte es noch lange bis dahin. Es war sinnlos, sich jetzt schon den Kopf über den Vater zu zermartern.
Auch Helmprecht lag noch wach; manchmal vernahm Jutta seine verhaltenen Stoßseufzer. Draußen schrie ein Nachtvogel. Jutta glaubte zudem, in weiter Ferne das Heulen eines Wolfes zu vernehmen. Irgendwann fiel sie, ihrer Gedankenflut zum Trotz, in einen sanften Schlaf.
Das nächtliche Wolfsgeheul war keinesfalls Juttas Fantasie entsprungen, das zeigte sich am nächsten Tag. Lupus, der Wolfsjäger, erschien auf dem Hof. Über seinen Schultern hingen die Felle von drei erlegten Wölfen. Seit mehr als einem Jahr hatte er sich nicht mehr blicken lassen.
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