Rosen für eine Leiche (German Edition)
Sommer kamen die Touristen in Scharen nach Rosenheim. Die
A8 zwischen
München und Salzburg war in beiden Richtungen vollgestopft mit Autos.
Schwimmbäder liefen über, Baggerseen wurden überschwemmt mit Müll. In der
Münchener Straße wurde ich von zartwüchsigen Mädchen mit Pickeln im Gesicht und
Eisenringen im nackten Bauch fast umgerannt. Ich trank einen Cappuccino im
»Rizz«, aß einen Wurstsalat auf dem Max-Josefs-Platz. Meine Gedanken schweiften
ab zu Lola, zu Chili und endlich zu den Toten im Boot. Leider hatten sie sich
mich als ihren Entdecker ausgesucht.
Den Tag, an dem unser Skatabend bei mir zu Hause stattfinden sollte,
begann ich morgens mit den Übungen der Fünf Tibeter. Ich salbte meinen Körper
mit einer Speziallotion gegen das Vertrocknen ein. Ich düngte meine frisch
gepflanzten Rosen, bestieg mit Herrn Huber den Heuberg auf der Westroute über
die Kindlwand. Ich nahm reichlich Flüssigkeit zu mir und aß mein Müsli. Vom
Polizeiarzt ließ ich mir einen Internisten und einen Urologen für den
Jahres-Check empfehlen. Er empfahl das Klinikum. Ich las im Oberbayerischen
Volksblatt viel über Politik, Sport und Lokales, nichts über den Fall. Das
bedeutete, sie traten auf der Stelle. Am späten Nachmittag schließlich stand
ich schwitzend mit einem Weißbier in der Hand auf der Terrasse. Silbrig glänzte
aus der Ferne das Dach einer Almhütte herüber. Der Wendelsteingipfel hatte sich
eine Mütze aus rosafarbenen Wolken aufgesetzt.
Alle zwei Wochen, meistens am Dienstagabend, trafen wir uns reihum
zum Skat – der Pfarrer, der Kommandeur und der Kirchenmaler. Heute war ich
dran. Ich hatte Brot, Käse und diverse Sorten Schinken vorbereitet. Dazu gab es
Bier und Rotwein.
Während Rudi, der Pfarrer, sein Blatt ordnete, räusperte
er sich. Er stammte aus Baden und redete somit gern und viel. »Achtzehn«,
begann er zu reizen. Er war untersetzt und stämmig, hatte große Hände und
Finger wie Würste.
»Hab ich«, sagte Uwe, der Kirchenmaler.
»Zwanzig.«
»Klaro.«
»Zwei«, sagte Rudi. Er atmete schwer.
Auf Uwes Stirn hatten sich kleine Tropfen gebildet. Konzentration
förderte bei ihm die Schweißbildung ungemein. »Nichts leichter als das«, sagte
er und nahm einen Schluck.
Der Pfarrer räusperte sich wieder. »Null«, sagte er. Er ächzte.
»Nein. Da bin ich weg.« Uwe trocknete sich die Stirn ab.
»Ich auch«, sagte Karl, der Kommandeur bei den Gebirgspionieren war.
Sie fragten mir Löcher in den Bauch wegen der Toten im Boot. Doch an
diesem Abend muss ich ziemlich abweisend gewirkt haben. Ich war froh, dass das
Spiel ungewöhnlich früh zu Ende war.
Rudi rief am nächsten Morgen an. Das Glockengeläut im
Hintergrund war so laut, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Doch das war nicht
das Geläut seiner Neubeurer Kirche.
»Rudi?«, fragte ich erstaunt zurück. »Wo bist du? Hast du gestern
etwas bei mir liegen lassen?«
»Entschuldige, wenn ich dich störe«, sagte Rudi ungewohnt
umständlich. »Kannst du mal herkommen?«
»Herkommen? Wohin denn? Wo bist du?«
»Unter dem Himmel. In Litzldorf. Gleich neben der Kirche.« Rudi
redete leise, als wolle er eine Beerdigung nicht stören.
In der einen Hand hielt ich eine Tasse Kaffee. Mit der anderen
strich ich Herrn Huber über den hingereckten Kopf.
»Bist du noch da?«, fragte er.
»Ja. Ich bin noch da. Ich mach ja gern einen Ausflug nach Litzldorf,
wenn’s nötig ist. Aber könntest du mir bitte …«
»Freilich. Ich möchte dir jemanden vorstellen. Er hat etwas
gefunden, was dich interessieren wird.«
Das klang geheimnisvoll. Ich steuerte den Porsche aus der
Tiefgarage. Vorgestern hatte ich ihn frisch gewienert. Die gesprungene hintere
Ausstellscheibe auszuwechseln hatte ich allerdings nicht mehr geschafft.
Orangerot glänzte der 911 E
im Sonnenlicht.
Der Himmel sah aus, als wollte es bald regnen.
Ich nahm nicht die Autobahn, sondern die Landstraße, die sich
zwischen Neubeuern über den Inn nach Brannenburg und von dort in vielen Kurven
nach Kutterling windet. Links die Berge, rechts flache, weite Wiesen. Kurz vor
Holzhausen querten Ziegen meinen Weg, einige Meter nach dem Dorf wurde ich von
einer Herde Kühe umringt. Der dunkle Zwiebelturm der Litzldorfer Kirche grüßte
aus der Ferne herüber. Eine riesige schwarzblaue Wolke hatte sich über den
Himmel geschoben und verfinsterte die Landschaft. Sie erinnerte an das
Raumschiff in »Independence Day«.
Rudi lehnte am steinernen Torpfosten oberhalb der Stufen,
die durch
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