Rosen für eine Leiche (German Edition)
den Friedhof zur Kirche führten. Neben ihm stand ein Mann mit
blitzenden Augen und grauem, schütterem Haar. Er trug eine dunkle Cordhose,
darüber einen ausgewaschenen Strickpullover. Ein weißes Kollar um den Hals wies
ihn als katholischen Pfarrer aus.
»Mein Litzldorfer Kollege Angermaier«, stellte Rudi vor.
»Kommen Sie mit«, sagte Angermaier. Er marschierte voraus, als wir
einen Spaziergang machten, der uns nach wenigen Minuten zu einem Gestrüpp aus
Brombeer- und Wacholdersträuchern führte. An einem mannshohen Strauch blieb er
stehen.
Etwas hing versteckt im Gebüsch. Ein Beutel. Eine Tasche. Eine
lilafarbene Handtasche. Sie kam mir irgendwie bekannt vor.
»Na?«, sagte Rudi und sah mich erwartungsvoll an. »Die Tasche hat
mein Kollege entdeckt. Sie hing so da wie jetzt.«
Ich legte die Hände auf den Rücken und sah mir die Tasche aus der
Nähe an. »Und?«, fragte ich. »Was soll ich damit?«
»Sie können sie ruhig anfassen«, meinte Angermaier. »Ich hab sie
gestern gefunden, untersucht und sichergestellt.«
»Sichergestellt«, sagte er!
»Und sie wieder hingehängt?«, fragte ich.
»Na klar«, bestätigte Rudi. »Damit du das Beweisstück so vorfindest,
wie es ursprünglich war.«
Beweisstück? Die Tasche hing an zwei Lederbügeln im Wacholderstrauch.
Ich benutzte ein Papiertaschentuch, als ich sie vorsichtig herunternahm. Sie
war schlank, feminin gerundet, circa dreißig Zentimeter breit und sehr leicht.
Als ich sie an zwei Fingern vor meinem Gesicht pendeln ließ, fiel der Groschen.
Ich kannte diese Tasche genau. Auf einmal wusste ich, warum sie mir so bekannt
vorgekommen war.
Es war ein Modell des amerikanischen Reisegepäckherstellers Tumi und
kostete knapp vierhundert Euro. Die Tasche war aus wasserabweisendem Polyester,
besaß außen ein seitliches Reißverschlussfach, und ich brauchte sie nicht erst
zu öffnen, um zu wissen, dass sich in ihrem Inneren eine perfekte
Organizerausstattung befand. Ein Fach für Kreditkarten, Schlaufen zum Einhängen
von Stiften, ein Geheimfach, eines fürs Handy … nur der Schulterriemen
fehlte an diesem Exemplar.
»Wieso sagen Sie Beweisstück?«, fragte ich Angermaier, so gelassen
ich konnte. »Was soll die Tasche denn beweisen?«
Innerlich kochte ich. Lola besaß so eine Tasche! Lilafarben. Aus
wasserabweisendem Polyester. Sie gehörte zu ihrer Geschäftsausrüstung.
»Schau ruhig mal rein«, sagte Rudi.
Hunde sind seltsame Vögel. Sie sind von Natur aus
anhänglich und glauben fest, dass sie zur großen Gemeinde der Menschheit
gehören. Das galt auch für Herrn Huber. Als ich die Tür aufschloss und mit der
Tumi-Tasche in die Wohnung kam, stand die Terrassentür offen. Und, was das
Schlimmste war: Herr Huber war weg. Offenbar hatte ich vergessen, den Türhebel
zu verriegeln, und der Hund musste es geschafft haben, ihn herunterzudrücken und
die Tür zu öffnen.
Für alles, was der Hund tut, gibt es einen Grund. Ein Hund ist nicht
einfach gut oder schlecht gelaunt. Einen Hund überfällt auch nicht einfach eine
Depression so wie unsereins, nur weil das Thermometer von gestern
vierunddreißig Grad auf heute achtzehn fällt und es in Kübeln regnet. So ein
Tier handelt streng nach Vorschrift, nach dem Programm, das in seinem Inneren
abläuft. In diesem Fall war ich mir ziemlich sicher, dass er abgehauen war, um
mich zu suchen.
Auf der Rückfahrt von Litzldorf hatte ich jede
Geschwindigkeitsbeschränkung gebrochen, um mich in der Wohnung sofort um die
Tasche zu kümmern. Der Inhalt, den ich in Gegenwart der beiden Geistlichen
untersucht hatte, war heiß. Trotz aller Brisanz konnte ich mir ein
nachsichtiges Lächeln nicht verkneifen. Pfarrer Angermaier hatte im Eifer
sowohl Tasche wie Inhalt berührt und so mögliche Spuren verwischt. Trotzdem
hatte er sich als großer Detektiv gefühlt. Ich gönnte es ihm.
Nun musste ich mich freilich zuallererst um meinen entlaufenen
Schlawiner kümmern.
»Herr Huber!«
Ich pfiff den abschwellenden Pfiff, auf den hin er sofort kommen
sollte. Das hatten wir beide so vereinbart.
»Hallo, Herr Otterfing«, hörte ich von links über mir. Frau Steiner
winkte vom Balkon. Ihr Augenlid zuckte mir zu. »Suchen Sie Ihren Hund?«
Eine Antwort war unnötig.
»Warten Sie. Der Harry ist grad heimgekommen. Er wird Ihnen helfen.«
Sie rief etwas ins Innere ihrer Wohnung.
Wenige Minuten später stand Harry Steiner neben mir.
»Was, Ihr Hund ist weg?«, sagte er. »Warten Sie, ich fahr einmal um
den Block. Den werd ich
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