Rosen für eine Leiche (German Edition)
schon finden, Ihren Herrn Meier.«
Ich sah Harry von der Seite an. Wasser rann über sein Narbengesicht
und von dort den langen, dünnen Hals entlang. Es schien ihm nichts auszumachen.
Wieder trug er ein weites Trachtenhemd, diesmal mit dunkelgrünen Stickereien,
und eine knöchellange Lederhose. Ich war Harry dankbar. Er hatte für mich schon
schwere Blumenkübel herumgeschleppt, den Erdboden mit dem Pickel von
Baumwurzeln befreit und mit dem Spaten Pflanzlöcher gegraben. Mit meinem
kaputten Kreuz wäre ich gezwungen gewesen, den Garten zuzubetonieren und grün
anzustreichen. Bewirtschaften hätte ich ihn ohne Harrys Hilfe nicht können.
Einziger Nachteil: Seine Zigarettenkippen lagen nach der Arbeit überall herum.
Er war nicht dazu zu bekommen, sie wegzuräumen.
Ich hatte es eilig. »Lass mal, Harry. Ich mach das selbst. Ich werd
ihn schon finden, den Herrn Huber.«
Er ließ sich nicht abhalten und holte sein Auto. Also fuhren wir
beide um den Block, er mit seinem grünen Astra-Kombi rechts herum, ich mit dem
Porsche links herum.
Auf Höhe des Guttenberg-Stadels trafen wir uns wieder. Hier lebte
der bekannte Dirigent Enoch zu Guttenberg, der mit seiner »Neubeurer
Chorgemeinschaft« Kultstatus in der Welt der Kirchenmusik und des Oratoriums
erreicht hatte.
Herr Huber saß auf dem Beifahrersitz des Astra und leckte Harry den
Arm. Mich schien er nicht zu kennen. Vor unserem Haus stellte Harry mir den
Hund vor die Füße, behielt die Zigarette im Mund und war um die Ecke verschwunden.
»Danke, Harry«, rief ich ihm hinterher.
Da tauchte er wieder auf.
»Bitte«, sagte er.
Zwei Meter vor mir blieb er stehen. Er ließ die Zigarette fallen und
zerdrückte sie mit der Fußspitze. Dann kratzte er sich am Kopf und bückte sich,
um die Zigarette wieder aufzuheben.
Brav, dachte ich.
»Was ich Sie schon länger fragen wollte«, sagte er im Bücken. »Ich
hab Ihnen doch schon häufig geholfen. Könnten Sie mir nicht mal mit einem
kleinen Darlehen aushelfen? So für einen Monat oder zwei?«
Als er mein Zögern bemerkte, fügte er hinzu: »Wirklich nur
ausleihen. Für eine Autoreparatur. Sobald ich wieder flüssig bin, kriegen Sie’s
wieder zurück. Versprochen.«
Ich überspielte meine Überraschung und sagte: »Ich zahl dir gerne
einen höheren Stundenlohn. Aber Geld leihe ich dir nicht. Ich hab kein Geld,
und selbst wenn ich welches hätte, würde ich es nicht herleihen. Grundsätzlich
nicht, Harry. Tut mir leid.«
Der Mensch, der mir im nächsten Augenblick ins Gesicht blickte,
wünschte sich nichts mehr, als dass ich auf der Stelle tot umfalle. Grußlos
wandte er sich ab.
Nachdenklich ging ich zur Haustür. Der Kerl, dessen Fratze ich da
soeben ansehen musste, war bei Weitem nicht mehr der unbekümmerte, hilfsbereite
Harry, als den ich ihn bisher kennengelernt hatte. Was mochte dahinterstecken?
Herr Huber schlich dicht hinter mir her. Mit gesenktem Kopf und
hängendem Schwanz kroch er auf sein Schlafkissen und pflegte sein schlechtes
Gewissen. Wegzulaufen war ihm strikt untersagt, egal warum. Das wusste er.
Endlich hatte ich Zeit, mich um mein fuchsienfarbenes Fundstück zu
kümmern. Ich streifte mir Haushaltshandschuhe über, warf mich in einen Sessel,
zog den Reißverschluss der Tasche auf und öffnete sie. Da waren Stifte, ein
Taschentuch, zwei winzige Schlüssel an einem Ring, ein kleiner
Solartaschenrechner. Der Lippenstift würde einiges an DNA hergeben. Doch was ich dann aus der inneren Seitentasche kramte, würde bei den
Rosenheimern wie eine Bombe einschlagen. Ich spürte etwas wie Siegergefühl in
mir hochsteigen.
Frauen können schlecht einparken, sagt man. Sie platzen
vor Neugier, auch davon spricht man.
Das galt nicht für Lola.
Lola hatte Radarzellen im Gehirn und Augen am Hinterkopf. Während
ich es bei sechzig Stundenkilometern gerade einmal schaffe, mich zu unterhalten
und nebenbei den Blinker zu setzen, konnte Lola sich die Haare kämmen, ein
Frühstückshörnchen verzehren, ins Diktiergerät sprechen und dabei einparken,
ohne sich umzudrehen. Alles gleichzeitig.
Und neugierig war sie auch nicht. Ihre Wissbegier beschränkte sich
aufs rein Berufliche, auf Musik und Kunst. Von den Toten am Chiemsee hatte sie
in der Zeitung gelesen. Als ich einmal zart andeutete, dass mich der Fall
beschäftigte, hörte sie kaum hin. »Du bist pensioniert«, kürzte sie ab. »Du
wolltest dich um deine Gesundheit kümmern, deine Rosen und den Hund. Und um
mich. Also lass die Finger davon.«
So war mein
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