Rosen für eine Leiche (German Edition)
blinden
Schuss vorzuführen. Er breitete die Arme aus, ballte die Hände zu Fäusten und
blickte an sich hinunter, als habe er sich selbst noch nie zuvor gesehen.
»Pffff.«
Er lachte durch Tränen und eine laufende Nase hindurch, bevor er
trunkenheitsbedingt nach hinten auf die Couch plumpste.
»Ich hab sie doch geliebt«, faselte er noch im Fallen.
»Ich hab sie doch geliebt.« Wie oft ich diese Phrase schon gehört
habe in meinem Kriminaler-Leben. Sie macht mich jedes Mal wahnsinnig.
Die Tür zum Arbeitszimmer, die bisher angelehnt gewesen war, öffnete
sich weit. Zuerst tauchte Scholls Kopf auf, dann der ganze Kerl.
»Der Abklatsch an Bellinis Hand«, sagte Scholl, »daher also.« Der
Chef der Rosenheimer Mordkommission wirkte entspannt, beinahe zufrieden.
»Danke, Ottakring, für Ihre Kooperation«, sagte er. »Ihr Plan hat funktioniert.
Ich hab alles erfasst.«
Er machte kehrt und ging zurück ins Arbeitszimmer.
»Kommen Sie, Frau Steiner«, hörte ich ihn sagen.
Er schob die verdorrte Frau ins Wohnzimmer.
Frau Steiner stürzte sofort auf ihren Sohn zu und breitete die
Schürze über ihn.
»Wie Sie vermutet haben: Sie konnte nicht glauben, dass ihr Sohn ein
Mörder ist«, sagte Scholl an mich gerichtet. »Wenn sie sich beruhigt hat, wird
sie uns den Rest erzählen.«
Scholl wandte sich zum Fenster und schaute hinaus in die Dunkelheit.
»Wir werden erfahren – und das haben wir inzwischen auch ermittelt –,
dass Harry Grafiker gelernt hat. Er war sehr begabt. Deswegen haben wir leider
erst sehr spät erkannt, dass der Brief gefälscht war.«
Mir ging ein Licht auf. Natürlich, Harry hatte den Abschiedsbrief in
Bellinis Wohnung gefälscht. Hätte man wissen können. Nein, wissen müssen. Ich
sollte meine Dosis an Spezialtabletten erhöhen, um meinen früheren Scharfblick
wiederzuerlangen.
Scholls Stimme war jetzt leicht belegt. »Ich gebe zu, eine Zeit lang
war ich verbohrt in meine Selbstmordtheorie. Vielleicht ist uns die SIG Sauer auch deshalb entgangen.«
»Wie, entgangen?«
»Na ja, wir haben gerade erst rausgefunden, dass die SIG Sauer, mit der Harry Steiner die Esterding und den
Bellini erschossen hat, schon einmal in der Kriminalgeschichte existiert hat.
Sie werden sich bestimmt daran erinnern können, Ottakring, nicht wahr.« Zur
Betonung lupfte er die linke Augenbraue und sah mir jetzt direkt in die Augen.
»Sagen Sie bloß«, sagte ich und schwang Scholl zu mir herum. »Die
gleiche SIG wie in meinem ersten Priegelfall
vor zwanzig Jahren? Die wurde doch sichergestellt damals. Wie kommt die in
Harry Steiners Hand?«
»Weil er sein Sohn ist«, kam es von der Couch. Frau Steiner hatte
sich neben Harry gesetzt und hielt seine Hand. »Es hat von Anfang an eine
zweite Pistole dieses Typs gegeben. Ich hab sie in einer Schublade …« Der
Rest ging unter in hemmungslosem Weinen.
Harry schnarchte neben seiner Mutter.
Mit einem Schlag begriff ich. Harry Steiner sah Herbert Priegel sehr
ähnlich. Die lange, hagere Gestalt, der schmale Kopf, der hüpfende Adamsapfel,
die Augen. Es war einfach zu abwegig gewesen, um vorher draufzukommen oder sich
mit einer so absurden Idee überhaupt zu beschäftigen.
Zwei Polizeibeamte hatten draußen gewartet. Behutsam hoben sie Harry
von der Couch und legten ihm Handschellen an.
Ich war ans Fenster getreten.
Scholl stellte sich neben mich. »Mist«, sagte er. Niedrige Stirn.
Tief liegende Augen. Heruntergezogene Lefzen. Er sah zerknirscht aus. »Hätten
wir natürlich viel früher rausfinden müssen. Die Steiner hat ihren damaligen
Lover jedes Jahr einmal besucht. Im letzten Jahr dreimal. Sie war seine
Geliebte gewesen nach der Trennung von seiner Frau.«
Eine tiefe Falte hatte sich auf seiner Stirn gebildet. »Klar, dass
sie ihm von den Problemen seines Sohnes berichtet hat. Von Harry wusste er ja
schon die ganze Zeit. Für ihn hat Priegel auch den Christnacht erschossen«,
sagte Scholl und schaute auf die Uhr. »Das mit dem Paradiesapfel von dem
kleinen Max war nur ein Vorgeplänkel. Christnacht hat von Harry wiederholt sein
Geld zurückverlangt. Harry hatte keine Chance und wäre dann komplett pleite
gewesen. Er hatte ja alles im Kasino verspielt. Und dem wollte Priegel
zuvorkommen. Ein liebender Vater eben.«
Ich holte Christnachts dünnen grünen Ordner aus dem Schrank und gab
ihn schweigend und ohne schlechtes Gewissen an Scholl weiter.
»Hab ich doch schon immer behauptet«, sagte ich und hob mein Glas.
»Das Böse ist vererbbar.«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher