Rosen lieben Sonne
Miss Besserwisserin. »Was bedeutet: >Majestic verlängert Vertrag mit Chief für MS-Gala?«
»Was ist daran so schwierig?« sagte sie. »Conférencier heißt Moderator; MS steht für Multiple Sklerose; >verlängert< heißt, daß sie ihn schon mal gebucht hatten, und insgesamt bedeutet das Ganze, daß du in der Scheiße rührst.«
»Ich hatte befürchtet, daß es das heißt«, sagte ich. »Und ich befürchte, der verdammte Chief spielt seit Jahren den Gala-Entertainer, denn seine Frau hat MS, und sie engagiert sich mächtig für diese Wohltätigkeitsveranstaltungen. Verflucht und zugenäht!«
»Gemach, gemach«, sagte Sara und klopfte mir auf die Schulter.
»Gemach, gemach ist gut«, sagte ich. »Nachdem du mir den ganzen Tag verdorben hast, warum verschwindest du nicht einfach irgendwohin und suchst dir jemand anders, dem du Dinge erklären kannst, die er nicht hören will und sowieso auch selbst herausgekriegt hätte? Und auf dem Weg nach draußen bringst du bitte das Leergut in die Küche.«
»Seit wann ist eine einzelne Flasche schon Leergut?« fragte sie. »Und wann kriege ich mein Geld?«
»Wer weiß?« sagte ich. »Ich kann mich jetzt nicht um ein paar lausige Dollar kümmern. Du kannst ja demnächst mal im Büro vorbeischauen oder mir ne Mahnung schicken, Was weiß ich, Hauptsache, du tust es woanders. Und jetzt verschwinde, okay?«
Die Doppel-Null verschwand, aber natürlich erst, nachdem sie mir zehn Dollar Abschlagszahlung aus den Rippen geleiert hatte. Die Jugend von heute — ihr sinnloses Leben wird von Geldgier, Drogensucht und Haarspray-Abhängigkeit bestimmt.
Ich wartete, bis das Wetter und ich selbst etwas abgekühlt waren, dann fuhr ich zu meinem Bruder, um Mum abzuholen. Sie saß im Wohnzimmer neben ihrer gepackten Tasche, hatte sich aber geistig vollkommen aus dem Diesseits zurückgezogen. Meine Mum war erst dreiundsiebzig, sie war eine schlanke, immer noch attraktive Frau mit grauen Locken und phantastischen Beinen, auf die sie immer noch unheimlich stolz war.
Als ich mich zu ihr herunterbeugte, um ihr einen Begrüßungskuß zu geben, rief sie: »Du warst wieder ein böser Junge. Ich kann dich nicht leiden!« und klebte mir eine. Ich war so verdattert, daß ich gar nicht wußte, was ich tun sollte. Tonys Frau Gaye kam zu uns herüber und setzte sich zu ihr.
»Aber, aber, Mutter«, sagte sie. Mum kräuselte die Lippen und schob Gayes Hand weg. Tony bedeutete mir mit einer Kopfbewegung, ich solle zu ihm in die Küche kommen. Durch das Fenster konnte man eines seiner Kinder sehen, Martin, der quer in der Hängematte lag, die ich aus Mazatlán mitgebracht hatte, in der einen Hand ein Buch, in der anderen eine Cola, und langsam hin und her schaukelte.
»So etwas hat sie noch nie getan«, sagte ich zu meinem Bruder und rieb mir die Wange. »Außerdem hat sie ganz schön Kraft für so ein Fliegengewicht.«
»Tja, in den letzten Wochen hat sie es ein paar Mal getan«, sagte Tony. »Nie bei mir oder Gaye oder Martine, immer nur beim armen Martin.«
»Wie kommt er damit klar?«
»Ach, er ist ein guter Junge«, sagte Tony. »Er nimmt es einfach nicht ernst.«
»Wann macht sie das?«
»Du hast es gesehen«, sagte er. »Plötzlich ruft sie etwas, und dann schlägt sie ihn. Gott weiß, was gerade in ihrem Kopf passiert. Vielleicht denkt sie an uns beide, als wir Jungs waren.«
»Vielleicht«, sagte ich. »Arme alte Mum.«
»Ja«, sagte Tony. Er stellte sich neben mich und sah aus dem Fenster. »Ich weiß nicht mehr, was wir tun sollen.«
»Ich auch nicht«, sagte ich. »Ich rufe morgen ihren Arzt an, aber wir wissen beide, was er sagen wird. Er wird das sagen, was er immer sagt.« Und was er immer sagte, war, daß es derzeit keine Möglichkeit gab, den Verlauf der Krankheit aufzuhalten, aber daß man hart daran arbeitete und wir die Hoffnung nicht aufgeben sollten. Mittlerweile glaubten sie, zumindest einen der Erreger der Alzheimerschen Krankheit entdeckt zu haben. »Bitte vergessen Sie nicht, daß Ihre Mutter besonders darunter leidet, weil sie noch relativ jung ist und in ihren klaren Momenten sehr wohl weiß, wie belastend ihr Zustand für Sie alle ist.«
»Ich weiß nicht mehr, was wir tun sollen«, hatte Tony gesagt. Was wir tun würden, war klar: Wir würden Mum, so lange es eben ging, bei einem von uns wohnen lassen, und wenn das nicht mehr ginge, würden wir sie in ein Heim einweisen lassen. Das Leben ist ganz einfach, wenn man nur logisch nachdenkt. Ich würde ihr einfach sagen:
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