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Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken

Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken

Titel: Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Ellis
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liebsten jedes böse Wort zurücknehmen, das ich zu Stephanie gesagt habe, wenn ich mit meiner Geduld am Ende war. Ich habe so ein schlechtes Gewissen und fühle mich schuldig. Denn ich bin ja diejenige, die für ihren Tod verantwortlich ist.
    Hier drin ist es schrecklich. Ich darf nicht mal an die frische Luft. Immer wenn sie mich irgendwohin bringen, machen sie Leibesvisitation. Das klingt zwar nicht weiter schlimm, wenn man sich im Camp den ganzen Sommer vor den Kindern umgezogen hat, aber ich finde es furchtbar.
    Ich bin ganz alleine in einer Zelle und habe keinen Kontakt zu den anderen Mädchen. Sie meinen, ich wäre ein Sicherheitsrisiko wegen meinem sogenannten Fluchtversuch aus dem Polizeirevier. Aber weißt Du, was? Ich wollte überhaupt nicht abhauen. Sie hatten mich auf eine Bank neben einer offenen Tür gesetzt. Und da hab ich im Unkraut ein paar Heuschrecken gesehen und bin rausgegangen, weil ich sie mir genauer ansehen wollte. Dass ich ein Häftling bin, wurde mir erst richtig klar, als sich sechs riesige Polizisten auf mich gestürzt und mein Gesicht auf den Boden gedrückt haben.
    Meine Eltern nimmt das alles furchtbar mit. Sie sagen, dass Deine Eltern und noch andere Leute aus der Stadt sehr nett zu ihnen sind, aber ich weiß genau, dass sie mich belügen. Natürlich nicht über Deine Eltern. Ich habe die Gesichter von den Leuten im Gerichtssaal gesehen. Die hätten mich doch am liebsten am Ortsschild aufgehängt. Na ja, kann man auch irgendwie nachvollziehen.
    Ich darf nur eine Seite beschreiben und die ist jetzt gleich voll. Los, komm, Libelle, komm hergeflogen und hol mich hier raus. Dreh die Zeit zurück bis zu unserer Übernachtung draußen im Camp, als Stephanie noch am Leben war und uns einfach nur auf die Nerven ging.
    Liebe Grüße von Deiner treuen Verbündeten,
    der Gottesanbeterin
    Ich las mir den Brief immer wieder durch, bekam überhaupt nichts vom Geschichtsstoff mit und überhörte beinahe das Klingeln am Ende der Stunde. Ich versuchte mir Casey in einer Gefängniszelle vorzustellen. Dabei sah ich sie in Gedanken vor mir, eingesperrt in einem von ihren Tötungsgläsern für Insekten.
    In der nächsten Stunde – es war Englische Literatur – schlug ich eine leere Seite in meinem Hefter auf. Ganz oben schrieb ich hin: Liebe Gottesanbeterin. Nachdem ich eine Weile auf diese Worte gestarrt hatte, überkritzelte ich sie und schrieb stattdessen: Liebe Casey.
    Aber auch das übermalte ich.
    Das ganze Wochenende nahm ich mir vor, den Brief zu beantworten. Aber immer kamen Hausaufgaben und sonstige Pflichten dazwischen. Mom hatte mir einen Wochenendjob in ihrem Altersheim besorgt, wo ich die ganze Zeit Betten beziehen musste. Ich wechselte also Unmengen vollgepinkelter Bettwäsche und war immer heilfroh, wenn ich dort wieder raus war.
    Ich fand haufenweise Ausreden, warum ich den Brief nicht beantworten konnte, die allesamt total nachvollziehbar waren.
    Mitten in der Nacht fuhr ich dann mit dem Fahrrad zu Caseys Straße und drehte vor ihrem Haus Kreise.
    Â»Jess?«
    Ich zuckte dermaßen zusammen, dass ich fast vom Fahrrad fiel. Mrs White stand in ihrem Vorgarten. Sie war ihm Bademantel und ihr Gesicht sah eingefallen aus, ihr Rücken war gebeugt. Sie wirkte sehr zerbrechlich.
    Ich stieg vom Rad. »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht aufwecken. Ich dachte nicht, dass ich Lärm gemacht habe.«
    Â»Hast du auch nicht«, antwortete sie. »Ich kann im Moment nur nicht so gut schlafen. Du offenbar auch nicht, was?«
    Â»Nein«, gab ich zu. »Nicht so gut.« Ich starrte zwischen meinen Lenkergriffen zu Boden, weil ich Mrs White nicht ins Gesicht sehen konnte.
    Â»Komm doch rein«, sagte sie. »Ich mache uns einen Kakao. Vielleicht werden wir ja davon ein bisschen müde.«
    Ich wäre so gern mit reingegangen. Ich wollte in ihrer stillen, sauberen Küche sitzen, heiße Schokolade trinken und dann mit ihr und Mr White im Insektenlabor in ihrer Garage einen alten Schwarz-Weiß-Film aus ihrer Sammlung ansehen.
    Aber stattdessen sagte ich: »Ich muss jetzt nach Hause.«
    Â»Was ist nur in dieser Nacht passiert?«, flüsterte sie.
    Ich gab ihr keine Antwort. Wahrscheinlich war die Frage auch mehr ans Universum als an mich gerichtet.
    Â»Warum geben sie Casey die Schuld? Die kennen sie doch. Sie ist doch hier aufgewachsen. Und sie kennen uns. Was ist da bloß gewesen in

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