Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken
Boden. Auf ihr lag der Kühlschrank und klemmte sie dort ein.
Ich ging zu ihr hin, packte den Kühlschrank an einer Ecke und versuchte ihn anzuheben. Meine FüÃe standen in einem Meer aus zerbrochenen Eiern, Orangensaft und anderem verschütteten Zeug. Der Kühlschrank lieà sich kein Stück bewegen.
»Lass es«, sagte mein Vater und griff nach dem Telefon.
»Dad, hilf mir endlich!«, verlangte ich, aber er drehte Mom und mir den Rücken zu und sprach ins Telefon. Ich wusste, dass er das Krankenhaus anrief. Ich wusste, dass er anrief, damit jemand kam und Mom wegbrachte.
Ich raste nach oben und griff mir ein Kissen von meinem Bett. Damit beugte ich mich zu ihr hinunter und schob es ihr unter den Kopf.
»Lass es«, sagte Dad wieder, und seine Hand hielt mein Handgelenk fest. »Vielleicht ist ihr Rückgrat verletzt. Beweg sie nicht.«
Ich wischte ihr das Gesicht mit einem warmen Lappen ab und strich ihr die Haare aus dem Gesicht.
»Wohin gehst du nachts immer, meine Jude?«, fragte sie mit schwacher Stimme. »Warum nimmst du mich nie mit?«
Ich konnte ihr keine Antwort geben. So setzte ich mich bloà neben sie auf den Boden, bis die Sanitäter in unsere Küche gestürmt kamen.
Dad schob mich auf die andere Seite der Küche, damit sie mehr Platz zum Arbeiten hatten. Ihre lauten, deutlichen, unbeteiligten Stimmen waren ein gewisser Trost. Sie wussten genau, was zu tun war.
»Ich werd den Kühlschrank zu den Whites schaffen«, sagte Mom mehr zu sich selbst als zu einem von uns.
»Das hier wird Sie beruhigen, Mrs Harris«, sagte einer der Sanitäter und gab ihr eine Spritze in den Arm. Dad half ihnen, den Kühlschrank von ihr herunterzuheben. Als ich den Zustand ihrer Beine sah, schrie ich auf. Ich konnte nicht anders.
Dad ging mit mir ins Wohnzimmer und legte mir eine Decke um die Schultern, während die Sanitäter Mom für den Abtransport vorbereiteten. Es dauerte lange. Dad machte mir einen heiÃen Kakao. Ich trank ihn nicht, aber die Wärme der Tasse fühlte sich gut in meinen Händen an.
SchlieÃlich hatten sie Mom auf der Trage. Sie trugen sie aus dem Haus und die Eingangstreppe hinunter.
»Ich fahre hinter ihnen her zum Krankenhaus«, sagte Dad. »Willst du mitkommen oder kommst du hier klar?«
Als Antwort stürzte ich aus dem Haus und holte die Sanitäter ein, die gerade die Trage in den Krankenwagen hoben.
»Mom!«, schrie ich.
»Judie? Meine Judie?« Moms Stimme war schwach von den Schmerzen und dem Beruhigungsmittel. Sie streckte den Arm aus und ergriff meine Hand. »Geh weg von hier, meine Jude. Geh weg aus dieser Stadt. Bevor sie mit dir macht, was sie mit mir gemacht hat!«
Dann verlor sie offenbar das Bewusstsein und ihre Hand fühlte sich ganz schlaff an. Die Sanitäter schoben ihre Trage an den richtigen Platz, und ich wich zurück, als die Türen des Krankenwagens zugeschlagen wurden.
Dad fuhr aus der Einfahrt, um dem Krankenwagen zu folgen, und ich ging wieder ins Haus. Ich schaltete den Fernseher an und saà einfach nur da.
Moms Beine hatte es ziemlich erwischt. Ein bleibender Schaden war zwar nicht zu befürchten, aber bis zur vollen Genesung war es noch ein weiter Weg.
»Gewebe heilt wieder«, sagte der Arzt zu Dad und mir. »Die gröÃeren Sorgen bereitet mir allerdings ihr seelischer Zustand. Gehen Sie lieber nicht davon aus, dass sie in absehbarer Zeit wieder nach Hause kann.«
Sonst war Mom immer drei bis vier Wochen im Krankenhaus gewesen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange es diesmal dauern würde.
Irgendwie überstanden wir Weihnachten, Dad und ich. Na ja, eigentlich umgingen wir es eher. Am ersten Feiertag fuhren wir Mom besuchen, aber sie reagierte nicht auf uns, und die aufgesetzte Krankenhaus-Fröhlichkeit deprimierte uns beide. Ich versuchte, mich in meinen Schulkram zu stürzen. Ich lieh mir einen Stapel alter Kriegsfilme aus der Videothek aus und verbrachte die Feiertage damit, anderen dabei zuzusehen, wie sie in die Luft gesprengt wurden. Dad fuhr jeden Abend nach der Arbeit zu Mom in die Klinik, aber ich wollte da nicht wieder hin.
»Ihre Beine machen gute Fortschritte«, sagte der Arzt Anfang Januar, »aber es beunruhigt mich, dass sie nicht spricht. Sobald sie wieder bei Kräften ist, machen wir mit der Elektrokrampftherapie weiter.«
Zu meiner groÃen Erleichterung wurde ich in der Schule in Ruhe gelassen.
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