Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken
es schrecklich, dass die Ereignisse des Sommers derart zerpflückt werden mussten.
Am Morgen meiner Zeugenaussage zog ich mich fünfmal um â von Jeans über Kirchenkleid bis hin zu einem Zwischending und wieder zurück zu Jeans â, als ob das richtige Outfit die ganze Sache irgendwie besser machen würde.
Ich hatte Dad gebeten, zu meiner Aussage mitzukommen, aber sein Unwillen war so unübersehbar, schon sein Gesichtsausdruck reichte aus, dass ich abwinkte. Ich war vollkommen allein.
Als ich beim Gericht ankam, war ich derart fertig mit den Nerven, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich das alles überstehen sollte.
Im Korridor sah ich den Staatsanwalt Mr Tesler und sprach ihn an: »Ich möchte nicht aussagen. Ich fühle mich nicht wohl heute und auÃerdem hab ich auch gar nichts zu sagen â ehrlich! Ich will das einfach nicht.«
»Sie sind gerichtlich vorgeladen worden«, antwortete er. »Was Sie wollen, steht hier nicht zur Debatte. Sie werden in den Zeugenstand treten und Ihre schriftliche Aussage bestätigen. Ansonsten landen Sie wie Ihre kleine Freundin hinter Gittern. Glauben Sie bloà nicht, dass ich so etwas nicht machen kann, denn das kann ich sehr wohl.« Damit lieà er mich stehen.
Kurze Zeit später saà ich ein Stück entfernt von Caseys Gerichtssaal auf einer Bank, von der aus ich die Tür jedoch im Blick hatte, damit ich mitbekam, wenn ich aufgerufen wurde. Ich saà vornübergebeugt und starrte zu Boden. Da sprach mich jemand an.
»Ich wusste doch, dass du hier irgendwo steckst.«
Ich schaute auf. Es war Mrs Keefer, die Campleiterin. Sie setzte sich neben mich.
»Du machst heute deine Aussage, oder?«
Ich nickte. »Woher wissen Sie denn das?«
»Der Staatsanwalt muss der Verteidigung seine Zeugenliste zur Verfügung stellen«, erklärte sie. »Ich sage dann später aus. Für Casey.«
Ich erschrak. »Dann weià Casey also Bescheid?«
Mrs Keefer nickte. »Ja, Casey weià Bescheid.«
Schamesröte stieg mir ins Gesicht. »Wie soll ich ihr nur je wieder ins Gesicht sehen?«
Mrs Keefer schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie: »Erinnerst du dich an die Inschrift auf der Tafel im Zentrum von Ten Willows?«
»Ja klar. âºUnsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande. Denn die uns gefangen hielten, hieÃen uns dort singen und in unserem Heulen fröhlich sein.â¹Â«
»WeiÃt du auch, was das bedeutet?«
»Nein, tut mir leid.«
»Das bedeutet, wenn Leute, die etwas Falsches tun, von uns Gefälligkeiten verlangen, dann sind wir nicht dazu verpflichtet. Wir haben immer noch die Wahl. Wir können unsere Harfen weglegen und uns weigern zu singen.«
Ich sah sie an. »Aber was â¦Â« Ich wollte sie fragen, was das denn bitte mit mir, jetzt und hier, zu tun hatte, aber als ich in ihr Gesicht schaute, wusste ich es plötzlich. Ich ertrank fast in Scham und sie warf mir einen Rettungsanker zu.
Sie umarmte mich und überlieà mich dann meinen Gedanken.
Und ich dachte in der Tat nach.
Jetzt wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich musste in den Zeugenstand treten, den Eid leisten, Tesler in die Augen schauen und sagen: »Casey White ist meine beste Freundin. Sie wäre nie dazu fähig, jemanden umzubringen.«
Eigentlich hatte ich ihnen noch viel mehr zu sagen Aber ich wusste genau, dass ich das niemals fertigbringen würde.
Vielleicht genügte es ja auch, einfach nicht mitzuspielen. Vielleicht reichte es aus zu sagen: »Casey White würde niemals jemanden töten, und wenn Sie das nicht begreifen, ist das Ihr Pech, denn es ist die Wahrheit.« Weiter würde ich mich nicht äuÃern.
Damit würde die Anklage wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Die Whites würden unendlich erleichtert sein. Casey würde mir verzeihen, Mom würde davon erfahren und wieder gesund werden. Alles würde endlich wieder normal sein. Der Frühling stand vor der Tür und wir wären endlich wieder glücklich.
Immer wieder malte ich mir aus, was ich tun und was ich sagen würde. Ich stellte mir vor, wie ich unter dem Jubel der Anwesenden der Missachtung des Gerichts beschuldigt und in Handschellen abgeführt werde. Die Leute würden mich wieder mögen und vielleicht könnte sogar Mela meine Verteidigung übernehmen. Vor lauter Adrenalin schwitzte und zitterte ich. Als die Mittagspause vorbei war und die
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