Rosen und das Leben nach dem Tod u Rosen und zwei Leben
mich nicht los. Auf meinem Laptop gaben sich Videos und Anleitungen aus Workshops die virtuelle Klinke in die Hand. Ich lernte einfache Knoten, die ich an einer ausgedienten Schaufensterpuppe ausprobierte. Meine kleinen Kunstwerke sahen nicht ganz so elegant aus, wie die, welche Russel in Lage war zu binden. Und ich bin mir sicher, dass meine Schaufensterpuppe den ein oder anderen realen Tod gestorben wäre, wenn sie denn lebendig gewesen wäre. Aber ich gab mir Mühe und ich war eine eifrige Schülerin.
Denn während ich die Seile um den leblosen Körper der Puppe wand und verknotete, wurde mir bewusst, wie die andere Seite dieses Spiels empfand. Als ich in den Seilen hing und fliegen lernte, war das nur meine kleine beschränkte Sicht der Dinge. Dass ein „Rigger“ ähnlich spirituelle Erfahrungen machen konnte, während er jemanden fesselte, war mir nicht klar. Ich hatte eher erwartet, dass dieser sich auf das Empfinden seines Gegenparts konzentrieren würde. Und unter Umständen die Tatsache, dass er seinen Spielpartner nicht umbrachte.
Letzteres erledigte sich beinahe von selbst, je sicherer ich wurde. Fasziniert sah ich auf meine fertigen Arbeiten und war davon überzeugt, dass Russel ähnlich empfinden musste, wenn er sich seine fertig gebundenen Kunstwerke ansah.
Und nun saß ich also bei diesem skeptischen Friseur auf dem Stuhl und ließ die letzten Hüllen meines alten Ich einfach fallen. Gerade rührte er eine neue Haarfarbe für mich an, als mein Blick hinaus auf die Promenade fiel. Ich zuckte zusammen. Dort schlenderte ein ziemlich hagerer Herr mit Bowler auf dem Kopf und dunkelbraunem Lederkoffer in der Hand. Er trug einen Popeline-Mantel, der für die Tageszeit sehr untypisch hier unten an der See war und der dieser Person den Makel des leichten Deplatziert seins verpasste. Die Gestalt kam mir bekannt vor, doch ich wischte diesen Gedanken so schnell wie möglich beiseite. Wieso sollte ausgerechnet er hier sein? Niemand wusste wo ich war, niemand suchte nach mir. Und so sollte es auch bleiben.
Zwei Stunden später sah mich nicht mehr Rosalie aus dem Spiegel an, sondern Maisie und diese war eine äußerst heiße Rothaarige, die außerdem noch einen frechen Bubikopf trug. „Hartes Stück Arbeit“, sagte der Mann an der Schere und ließ sich mit einem zufriedenen Lächeln in den nächsten Stuhl fallen.
Da musste ich ihm beipflichten, aber es hatte sich wirklich gelohnt. Das da, das war eine Maisie, wie man sie sich vorstellte. Frech, aber sympathisch.
An diesem Abend ging ich zum ersten Mal seit meiner Ankunft aus. Ich gönnte mir ein opulentes Abendessen im besten Restaurant des Ortes. Der Fisch war köstlich, der Nachtisch ein Gedicht und zur Feier meiner nun abgeschlossenen Metamorphose durfte es auch der Wein sein, der auf der Preisliste ganz unten stand. Es wurde dunkel und die Boote am Pier warfen lange Schatten. Als die Lichter der altmodischen Laternen im Hafen angingen, pulsierte meine romantische Ader und ich fand, dass dieser wirklich gelungene Tag förmlich nach einem guten Buch und noch mehr Wein schrie. Langsam schlenderte ich zu meinem Haus und als ich dort ankam, wusste ich, dass aus meinen Plänen nichts werden würde.
„Mrs. Peel“, sagte Mr. Smith, verbeugte sich formvollendet und lupfte seinen Bowler. Ich hatte mich also nicht geirrt. „Was wollen Sie“, fragte ich und der Ton in meiner Stimme war latent unfreundlich. Es tat mir leid, denn Mr. Smith, und die Art wie er sich um mich gekümmert hatte, waren doch der Grund dafür gewesen, dass ich nicht schon wesentlich früher alles hingeschmissen hatte. „Entschuldigung“, sagte ich, öffnete das Gartentor und bat ihn hinein. Er nahm seinen Koffer und folgte mir. „Niedlich“, bemerkte er, als er sich im Haus umgesehen hatte. „Für mich reicht es.“
„Das bezweifle ich gar nicht“, sagte er, stellte seinen Koffer ab und begab sich in die Küche. Ich lehnte im Türrahmen und sah ihm dabei zu, wie er das Kommando über meine zwei Quadratmeter kleine Küche übernahm. „Was wollen Sie hier?“, wiederholte ich meine Frage. Mr. Smith antwortete nicht sofort. Das hatte er nie getan. Immer hatte er mir Zeit gegeben, meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Auch wenn ich dazu kaum in der Lage war, weil 99% meines Hirns mit seinem Brötchengeber beschäftigt waren.
„Es gab einige Veränderungen in London“, begann er, als er endlich den Wasserkessel gefunden hatte, den ich aufgrund des Platzmangels auf die äußere
Weitere Kostenlose Bücher