Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
Menschen, die im Ausland jetzt jedenfalls vorsichtiger sind oder gleich gar nicht mehr verreisen, weil da draußen, außerhalb ihrer eigenen vier Wände, überall nur der blanke Horror lauert. Dabei ist statistisch erwiesen, dass die meisten Unfälle und Morde im familiären Umfeld geschehen. Daheim ist es eben doch am gefährlichsten, aber wen interessieren schon Statistiken, wenn er richtig Schiss hat?
In der Yuccapalmen-Variante von Moritz ist es keine Pflanze, sondern eine gefälschte Gucci-Handtasche, die eine Frau aus ihrem Thailandurlaub mit nach Hause bringt. In der Handtasche hat es sich eine hellgrüne Bambusotter bequem gemacht. Wegen des gleichfarbigen Innenfutters ist das zusammengerollte Tier perfekt getarnt. Erst als die stolze Käuferin daheim in ihre Tasche greift, gibt sich die hungrige Otter zu erkennen und beißt zu. Zwanzig Minuten später ist die Frau tot.
Ich gehe jede Wette ein, die Story wird ihren Weg machen und sich rasend schnell verbreiten. Ist ja auch absolut glaubwürdig. In Asien, wo die ganzen Markenklamotten für ein paar Euro nachgemacht werden, gibt es solche giftigen Viecher zuhauf, und warum sollte sich nicht eines davon in so ein gefaktes Luxustäschchen verirren?
Als es dunkel wird, steht plötzlich Hobbe in ihrem Büro. Moritz und Pascal haben ihn nicht kommen hören, und ich – ehrlich gesagt – auch nicht. Er bläst zum Aufbruch, und kurz darauf verlassen die drei gemeinsam den Verlag. Sie steuern auf einen Sportwagen zu, der auf einem reservierten Parkplatz genau vor der Tür steht. Es ist ein Cabrio, und unter hunderttausend Euro ist der neu sicher nicht zu haben. Wenn man damit hinkommt.
»Wir fahren noch bei einer Galerie vorbei und holen ein paar Leute ab. Karelski ist dabei und noch ein paar von den anderen«, erklärt Hobbe und schließt den Wagen auf.
»Karelski? Sie meinen
den
Karelski? Der, der
Noch ist Atlantis nicht verloren
geschrieben hat?« Moritz bleibt vor Ehrfurcht einfach stehen.
Hobbe guckt amüsiert zu Pascal hinüber, der den Blick grinsend erwidert.
»Kennst du noch einen anderen Karelski?«, fragt Hobbe.
»Seine Bücher sind phänomenal«, schwärmt Moritz wie ein Schulmädchen von einer Boyband.
Das Grinsen in Hobbes und Pascals Gesichtern wird immer breiter. Moritz versteht nicht, warum, aber ehe er nachfragen kann, wirft Hobbe Moritz die Autoschlüssel zu.
»Wenn du willst, kannst du fahren.«
»Und mein Roller?« Moritz zeigt auf seine alte Kiste, die nicht weit von mir auf dem Parkplatz steht.
»Nimmst du zurück eben ein Taxi«, sagt Hobbe.
»Aber das ist viel zu teuer …«, erwidert Moritz.
Hobbe lacht nur. Er geht um den Wagen herum und setzt sich auf den Beifahrersitz. Von innen öffnet er Moritz die Fahrertür. »Nun komm schon rein und fahr.«
Moritz zögert einen Moment, dann steigt er ein und lässt den Motor an. Mich wundert das nicht. Hätte ich auch gemacht. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, so einen Wagen zu fahren?
Moritz lässt das Cabrio aufheulen, während Pascal seine langen Beine auf der engen Rückbank zusammenfaltet. Dann gibt er Gas. Mit meinem Wagen habe ich gegen Hobbes Rakete keine Chance. Ich suche mir meine fahrbaren Untersätze nach anderen Kriterien aus. Vor allem müssen sie unauffällig sein, da stelle ich mir als Firmenwagen natürlich keinen Maserati vor die Tür. Ein durchschnittliches Familienauto in Dunkelblau mit einem Kindersitz – besser noch zwei – auf der Rückbank ist ideal. Das ist so langweilig, daran erinnert sich später nie jemand. Selbst wenn man fünf Minuten lang direkt neben ihm an einer roten Ampel gestanden hat.
Diese ganzen Verfolgungsjagden, die man im Fernsehen immer sieht, gibt es heutzutage ja gar nicht mehr. So sah der Job vielleicht früher einmal aus. Im letzten Jahrtausend. »Hallo Taxi, folgen Sie dem Wagen da vorn …« Das hört man nur noch in schlechten Filmen. Mit dem GPS -Sender, den ich unter Hobbes Motorhaube geklebt habe, kann ich das locker angehen. Ich weiß sowieso, wo sie hin wollen. Und dann, dann fahr ich einfach ganz entspannt hinterher.
12 / 10 / 2015 – 21 : 17 Uhr
Ich mag Vernissagen. Bei den Ausstellungseröffnungen ist es in den Galerien immer so voll wie sonst das ganze Jahr über nicht. Die Leute kommen ja nicht wegen der Kunst, sondern weil es umsonst etwas zu trinken gibt. Ich mag das. In dem Gedränge falle ich nicht auf. Ich schnappe mir eine Flasche Bier aus einem Kübel, der bis zum Rand mit Eiswürfeln gefüllt
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