Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
zur Begrüßung. Mit der Linken nimmt er die Kopfhörer ab, sodass sie ihm jetzt lässig um den Hals baumeln.
»Ist er das? Das angekündigte Genie?«, fragt der Kopfhörermann und zeigt auf Moritz.
»Das Genie und außerdem dein neuer Kollege.« Hobbe legt Moritz den Arm um die Schulter und schaut ihn an. »Pascal erklärt dir alles, was du wissen musst. Du bist der Mann für die Geschichten, und er ist der Multiplikator. Pascal wird dafür sorgen, dass deine Sachen unters Volk kommen und sich schneller verbreiten als ein Grippevirus. Alles klar?«
Moritz nickt nur, weil er viel zu viele Fragen hat und nicht weiß, wo er anfangen soll.
»Wunderbar, dann sehen wir uns heute Abend. Ich will dich ein paar Leuten vorstellen. Du kannst gern auch deine Freundin mitbringen. Die müde Schöne aus der Bar.«
Hobbe hat vertraulich vom Sie zum Du gewechselt. Das darf er, weil Moritz jetzt auf seiner Paylist steht.
»Sie hat heute Abend keine Zeit, glaube ich«, antwortet Moritz ausweichend.
»Dann eben das nächste Mal. Bis nachher!« Hobbe klopft Moritz auf die Schulter, und schon ist er weg.
Dafür steht nun der Mann, den Hobbe Pascal genannt hat, auf und kommt auf Moritz zu, um ihn zu begrüßen. Sein Lächeln ist offen und wirkt ganz unverstellt. Ist es wohl auch, soweit ich das auf meinem Bildschirm beurteilen kann.
»Also ich bin Pascal, aber das weißt du ja schon. Hier, du kannst den nehmen. Ist nicht grad der Schnellste, aber für das, was du machst, reicht der locker.« Pascal zeigt auf den Computer, der seinem Rechner gegenübersteht. »Der hat deinem Vorgänger gehört. Der hatte irgendwann keine Lust mehr. Oder ein besseres Angebot, oder es ist ihm nichts mehr eingefallen. Was weiß ich, eines Tages ist er einfach nicht mehr gekommen.«
Moritz setzt sich auf den Schreibtischstuhl und dreht sich einmal im Kreis.
»Von dem hat Hobbe gar nichts erzählt.«
»Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Hobbe liebt Geheimnisse. Aber der Typ war sowieso nicht lange da. War so ein Superkorrekter. Wollte immer alles ganz genau wissen. Seitenscheitel und so ’ne spießige John-Lennon-Brille. Absolut kein Easygoing-Typ.«
»Im Gegensatz zu dir?!« Moritz grinst.
»Treffer, versenkt!« Pascal grinst zurück. »Hey, der Boss hat mir von deinen Geschichten erzählt. Klasse Stoff!«
»Oh, danke!«, erwidert Moritz erfreut.
Sag einem Autor, du magst seine Storys, und du hast einen Freund fürs Leben.
»Wird Zeit, dass wir ein paar davon in die Welt rausjagen.« Pascal deutet auf den Rechner, der vor ihm steht. »Entweder mit dem Ding da oder in der freien Wildbahn, sozusagen im Nahkampf.«
»Nahkampf? Freie Wildbahn?«
»Erklär ich dir später. Die wichtigste Regel hier lautet: Lass es easy angehen.«
Pascal öffnet einen Aktenschrank, der unter seinem Schreibtisch steht und überhaupt kein Schrank ist, zumindest keiner für Aktenordner. Es ist ein gut getarnter Kühlschrank. Pascal holt zwei Flaschen Bier aus dem Kühlfach, öffnet beide an der Schreibtischkante und reicht eine davon an Moritz weiter.
»Auf gute Zusammenarbeit!«
Moritz nimmt die Flasche und stößt sie gegen die von Pascal.
»Nichts dagegen.«
Der Rest des Tages verläuft ziemlich ereignislos. Zumindest für mich. Die beiden posten ein paar von Moritz’ Geschichten und einige Klassiker in verschiedenen Internetforen, in denen Verschwörungstheorien verbreitet werden. Da kann man nachlesen, dass die Titanic von Außerirdischen versenkt wurde und Hitler noch lebt, in einem Bunkersystem irgendwo in der Antarktis.
Unter den Legenden, die Moritz und Pascal verbreiten, ist auch eine leicht geänderte Version der uralten Geschichte von der Spinne in der Yuccapalme. Im Original schmuggelt jemand aus dem Urlaub eine hübsche Pflanze durch den Zoll. Nachdem er die Palme zu Hause im Wohnzimmer aufgestellt hat, schlüpfen dort in der warmen Heizungsluft nach zwei Wochen Dutzende Giftspinnen, deren Eier ihre Mutter – so eine große haarige mit streichholzlangen Beinen – im Stamm abgelegt hatte. Je nach Variante der Story sterben an den Bissen eine, zwei oder vier Personen. Es gibt auch eine Softversion, in der die Bewohner nur einen fürchterlichen Schreck kriegen. Die Geschichte war damals schon gelogen und ist es heute immer noch. Trotzdem könnte man mit Leichtigkeit in Deutschland ein paar Tausend Leute finden, die ohne Zögern schwören würden, dass die Story absolut wahr und genau so dem Freund eines Freundes widerfahren ist.
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