Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
ist, wenn sie Moritz nur verschwommen sieht.
»Nein, in einem Büro. Ich werde für meine Geschichten bezahlt. Sehr gut bezahlt sogar.«
Damit hat sie nicht gerechnet. Sie wirkt irritiert und braucht einen Augenblick, ehe sie sich wieder im Griff hat. In diesem Moment treffen sich ihre Blicke, wenn auch nur kurz. Dann schaut sie auch schon wieder an Moritz vorbei und fixiert irgendetwas in seinem Rücken. Keine Ahnung, was es ist. Ist auch völlig egal, es geht ihr schließlich nur darum, nicht ihn anblicken zu müssen.
»Schön, schön für dich. Hast du es deinen Eltern eigentlich noch gar nicht gesagt?« Anne setzt ihre Brille wieder auf.
»Was gesagt? Das mit dem Job?«, fragt Moritz überrascht.
»Nein, dass es aus ist zwischen uns.«
»Ich habe ewig nicht mit denen gesprochen.«
»Sie haben mir eine Einladung geschickt zum Fünfundsechzigsten deines Vaters.«
»Mir auch. Per Einschreiben, damit ich nicht sagen kann, ich hätte sie nicht bekommen.«
Anne muss lächeln. Moritz lächelt zurück. Das lenkt ihn ab, deswegen sieht er nicht, was ich sehe. Auf der Straße fährt langsam ein Wagen vorbei, so eine dunkelblaue Familienkutsche. Am Steuer sitzt einer von den Schwulen, die keine Schwulen sind. Da bin ich mir jetzt ganz sicher, auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, wer die beiden wirklich sind.
Ich hasse es, nicht Bescheid zu wissen.
»Das passt zu deinem Vater«, erklärt Anne und macht einen kleinen Schritt auf Moritz zu.
Wenn er jetzt die Hand ausstrecken würde, könnte er sie berühren. Tut er aber nicht.
»Und? Kommst du? Wir könnten zusammen hinfahren«, schlägt Moritz vor.
»Warum sollte ich das tun?«, fragt Anne und fängt wieder an, mit ihrer Brille zu spielen.
»Weil du eingeladen bist.«
»Wir sind nicht mehr zusammen, Moritz, schon vergessen?!« Anne macht wieder einen Schritt zurück, und damit knallt das kurze Zeitfenster zu, das Moritz für eine Berührung hätten nutzen können. Und wenn das kein Fenster, sondern ein Garagentor gewesen wäre, hätte es gerade ziemlich gescheppert.
»Überleg es dir. Wir hätten auf der Fahrt auch Zeit für uns. Könnten alles noch mal in Ruhe besprechen«, versucht Moritz sie zu überreden.
»Es gibt nichts mehr zu reden, Moritz.«
»Soll ich dich nach Hause bringen?«
»Moritz, lass es gut sein, okay? Ich parke da vorn und muss jetzt auch los.« Sie zeigt auf ihren Wagen, der direkt neben meinem auf dem kurz vor Mitternacht leeren Parkplatz steht. Anne versucht ein Lächeln, was ihr misslingt. Dann geht sie auf ihr Auto zu. Kurz bevor sie einsteigt, dreht sie sich noch einmal um. »Grüß deine Eltern von mir«, sagt sie, dann schließt sie die Tür auf, startet den Wagen und fährt davon.
Moritz bleibt allein zurück. Na ja, so ganz allein auch wieder nicht. Immerhin bin ich noch da. Ich bin kurz davor, zu ihm zu gehen und ihm tröstend den Arm um die Schulter zu legen. Vielleicht würde ich ihm sogar ein paar Worte sagen, etwas in der Art von »Vergiss die Frauen« oder »Andere Mütter haben auch schöne Töchter«. Nein, wahrscheinlich würde ich sagen: »Ich weiß, wie es dir geht, und das wird auch nicht besser. Zumindest nicht so schnell.«
Um gar nicht erst in Versuchung zu geraten, breche ich die Observation für heute ab. Von dem Schwulen, der kein Schwuler ist, ist weit und breit nichts zu sehen, und ich weiß sowieso, was Moritz tun wird. Er geht nach Hause, setzt sich an seinen Rechner und schreibt eine neue Geschichte. Da muss ich nicht dabei sein. Seine Dateien sind auch meine Dateien. Das kann ich alles genauso gut bequem auf meinem Laptop nachlesen und das hat zumindest den Vorteil, dass ich heute auch mal vor Mitternacht ins Bett komme.
14 / 10 / 2015 – 10 : 25 Uhr
Der Morgen verläuft weitgehend ereignislos, aber als Moritz im Verlag auftaucht, stößt er im Flur gleich mit Hobbe zusammen. Dabei fällt seinem Verleger eine Mappe aus der Hand, und ein paar Fotos rutschen heraus. Noch ehe Moritz sich bücken kann, um beim Einsammeln zu helfen, kniet Hobbe auch schon auf dem Boden und sammelt alles wieder ein.
Ich weiß nicht, ob Moritz es mitbekommt, weil alles so schnell geht, aber ich erkenne die Motive wieder. Glaube ich. Auf den Fotos sind die Regale der Buchhandlung zu sehen, in der Moritz das Buch geklaut hat. Die Bilder sind nicht besonders scharf und wirken wie Stills einer Überwachungskamera. Aber ich müsste mich schon sehr täuschen, wenn der Junge auf den Fotos nicht Moritz ist, der gerade
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