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Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Titel: Rosendorfer muss dran glauben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Bertram
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Blätter vom Tisch. Moritz muss um den Schreibtisch herumgehen, um sie wieder aufsammeln zu können. Dann legt er sie zurück und packt – damit sie nicht wieder wegwehen – einen Briefbeschwerer obendrauf. Das Ding sieht aus wie eine Handgranate, und ich hoffe nur, dass es eine Attrappe ist. Erst beim zweiten Blick erkenne ich, dass der Zündring fehlt. Also Entwarnung.
    Aus Übermut lässt Moritz sich in Hobbes Sessel fallen, rotiert einmal um die eigene Achse und sieht sich dann den Schreibtisch genauer an. Rechts entdeckt er ein Foto in einem Bilderrahmen. Es steht so, dass es Besucher, die vor dem Schreibtisch sitzen, nicht sehen können. Das Bild zeigt einen jungen Mann. Moritz nimmt den Rahmen und betrachtet das Foto genauer. Der Junge ist etwas jünger als er, aber vom Typ her ganz ähnlich. Fast könnte man die beiden für Brüder halten.
    Genau in diesem Augenblick sind die vier Minuten rum, und Hobbe steht so plötzlich im Raum, als hätte er sich dorthin gebeamt.
    »Was suchst du da?«, herrscht er Moritz an.
    »Ich … äh … ich wollte nur …« Moritz stellt erschrocken den Bilderrahmen zurück und springt aus dem Stuhl auf.
    »… rumschnüffeln?«, vollendet Hobbe schroff.
    »Ich wollte Ihnen das nur hinlegen«, erwidert Moritz eingeschüchtert und hält das Blatt mit seiner Kamerageschichte in die Höhe, als wäre es eine weiße Fahne.
    »Was ist das?«
    »Eine neue Geschichte. Pascal gefällt sie.«
    Hobbe schnaubt verächtlich und nimmt Moritz den Text aus der Hand.
    »Gehe nie, nie wieder an diesen Schreibtisch«, brummt er, während er die Geschichte liest.
    Moritz blickt sich unsicher in Hobbes Büro um. Es ist fies, dabei zusehen zu müssen, wenn andere Leute die eigenen Sachen lesen. Moritz wirkt angespannt, und das ändert sich erst, als Hobbe zu lächeln beginnt.
    »Das ist gut. Das ist sogar sehr gut«, murmelt Hobbe. Dabei ist er noch gar nicht fertig.
    »Danke«, erwidert Moritz und zeigt auf das Foto in dem Rahmen. »Ist das Ihr Sohn? Ich wusste gar nicht, dass Sie einen Sohn haben.«
    »Hatte. Er ist tot«, antwortet Hobbe, ohne von dem Text aufzublicken.
    »Oh, das tut mir leid.«
    »Warum? Ist doch nicht deine Schuld.« Hobbe lässt das Blatt sinken und sieht Moritz an. »Drogen und falsche Freunde. Er hatte zu wenig Angst. Zu wenig Respekt vor dem Leben. Musste immer alles ausprobieren.« Hobbe macht eine Pause, und Moritz weiß auch nicht, was er sagen soll.
    Aber mir wird jetzt einiges klar. Das hier ist ein klarer Fall von Projektion, Adoption oder wie immer man das nennen möchte: Moritz ist für Hobbe so eine Art Ersatz für seinen verlorenen Sohn. Deswegen ist er auch so beleidigt, wenn Moritz seine Einladungen ausschlägt. Warum ist mir das vorher nicht schon aufgefallen? Das erklärt alles.
    Hobbe lässt Moritz noch ein bisschen zappeln, dann bricht er das angespannte Schweigen. »Heute Abend lässt du mich nicht im Stich, verstanden? Ich rechne mit dir. Mit dir und deiner Freundin.«
    »Das wird nicht gehen«, antwortet Moritz verlegen.
    »Willst du mich etwa schon wieder versetzen?«
    »Nein, aber mit Anne, das geht nicht. Zwischen uns beiden ist es aus.«
    »Oh, das tut mir leid«, sagt Hobbe, und so, wie er das sagt, klingt es sogar ehrlich und aufrichtig.
    »Warum? Ist doch nicht Ihre Schuld.«
    »Stimmt.« Hobbe grinst. »Du hängst noch an ihr, richtig? Nutz die Kraft deiner Geschichten. Lass dir was einfallen. Das kannst du doch. Das ist deine große Stärke.« Hobbe legt Moritz einen Arm auf die Schulter.
    »Und was?«, fragt Moritz ratlos.
    »Du bist der Autor, nicht ich. Es muss ja nicht die Wahrheit sein.«
    Hobbe holt einen Schlüsselbund aus der Tasche und macht sich am Schloss eines Schranks zu schaffen. Als er bemerkt, dass Moritz immer noch im Raum steht, sieht er ihn an.
    »Hast du noch was auf dem Herzen?«
    Moritz kapiert nicht, dass er gehen soll. Außerdem hat er anscheinend noch etwas auf dem Herzen.
    »Die Fotos. Die in Ihrer Mappe auf dem Flur.«
    »Was denn für Fotos?«
    »Die, die vorhin auf dem Boden gelandet sind. Die Bilder aus der Buchhandlung. Woher haben Sie die?«
    Oha, da überrascht er mich. Hat er sich darauf also doch erkannt.
    »Ach,
die
Fotos meinst du. Ich bin Verleger, ich will wissen, was die Leute in den Läden interessiert. Was sie so kaufen. Deswegen stelle ich mich gut mit den Kaufhausdetektiven. Für ein paar Euro versorgen die mich mit den Bildern. Sonst noch was?«
    Klingt das plausibel? Für jemanden ohne Paranoia

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