Rosendorn
können. Wenn ich gehe, wird die Königin des Sommerhofes zufrieden sein, und die einzige Möglichkeit, die der Königin des Winterhofes bleibt, besteht darin, mir Menschen hinterherzuschicken.«
»Aber du wirst überhaupt keinen magischen Schutz haben«, erinnerte er mich.
»Den werde ich auch nicht brauchen, wenn ich nicht von Feen angegriffen werde.« Ich denke, ich versuchte, mich selbst genauso zu überzeugen wie ihn. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass Mom versprochen hatte, in eine Entzugsklinik zu gehen, wenn uns die Flucht aus Avalon gelang – und das war jedes noch so verrückte Risiko wert.
»Also gut. Sagen wir mal, ich kaufe dir das so ab. Ich weiß, dass du im Augenblick eigentlich ziemlich sauer auf mich bist und ich als Gesprächspartner bestimmt nicht deine erste Wahl bin, also nehme ich an, dass ich in deinem Fluchtplan eine Rolle spiele?«
Ich biss mir auf die Unterlippe. Vermutlich hatte ich ihm schon jetzt genug verraten, um ernste Schwierigkeiten zu bekommen, wenn er mich bei seinem Dad verpfiff, doch trotzdem fiel es mir schwer, den letzten Schritt zu machen, ihm den nötigen Vertrauensvorschuss zu gewähren und ihm zu sagen, was ich vorhatte.
»Hast du mich eigentlich wirklich gemocht, oder war das alles nur gespielt?«, hörte ich mich selbst sagen, obwohl ich gar nicht vorgehabt hatte, das Thema zur Sprache zu bringen.
»Natürlich mochte ich dich.
Mag
ich dich. Wie könnte ich dich nicht mögen? Ich wünschte, ich hätte nur
halb
so viel Mut wie du.«
Das überraschte mich. »Wovon sprichst du? Seit ich hier angekommen bin, stehe ich total neben mir!«
Er schnaubte. »Du hast Jason das Leben gerettet, als die Spriggans angegriffen haben. Wenn du den Spriggan nicht aufgehalten hättest, wäre ich zu spät gekommen, um ihm zu helfen. Ganz zu schweigen von deinem Mut, dich ganz allein auf den weiten Weg nach Avalon zu machen.«
»Das war kein Mut. Das war Dummheit.«
Er lachte, aber es klang bitter. »Ich weiß, dass du dich deiner Mutter widersetzen musstest, um hierherzukommen. Und jetzt planst du, dich deinem Vater zu widersetzen, um gehen zu können. Ich habe noch nie erfolgreich versucht, mich gegen meinen Vater aufzulehnen. Also ist das meiner Meinung nach Mut.«
»Wenn du das sagst.«
»Das sage ich. Und jetzt erzähl mir, warum du anrufst. Was kann ich für dich tun?«
Ich dachte über die Konsequenzen seines Geständnisses nach, und mein Mut sank ein wenig. »Ich wollte dich bitten, dich gegen deinen Vater zu stellen und mir dabei zu helfen, aus Avalon zu verschwinden.«
»Sag mir, was du brauchst, und ich werde dir helfen, so gut ich kann. Mich hinter seinem Rücken gegen ihn zu wenden, scheint mir etwas leichter zu sein, als es von Angesicht zu Angesicht zu versuchen.« Wieder nahm ich den Hauch von Bitterkeit in seiner Stimme wahr. Ich hoffte, es bedeutete, dass ihn wegen all der Dinge, die er mir angetan hatte, das Gewissen plagte.
»Also bist du nicht der Meinung, dass ich total verrückt bin, weil ich hier verschwinden möchte?«
»Es ist ein Risiko. Andererseits ist es auch gefährlich, in Avalon zu bleiben – wie du sicher schon bemerkt hast.«
Ich glaubte ihm. Natürlich hatte ich ihm vorher auch schon geglaubt und damit ziemlich falschgelegen, also konnte ich mich in diesem Fall nicht unbedingt hundertprozentig auf mein Urteilsvermögen verlassen. Doch er war meine einzige Hoffnung, also wagte ich den Vorstoß.
»Im Moment kann ich Avalon nicht verlassen, weil entweder Grace oder mein Vater meinen Pass haben. Ich glaube nicht, dass ich ihn zurückbekomme – wer auch immer ihn hat. Deshalb brauche ich einen gefälschten Ausweis, der seinen Zweck erfüllt. Kann deine Magie das?«
Für einen langen, angespannten Moment schwieg er. Ich konnte praktisch hören, wie er nachdachte. Hätte ich doch nur gewusst,
was
ihm durch den Kopf ging!
»Vermutlich ahnst du es schon«, sagte er, »aber das ist viel schwieriger, als eine imaginäre Wand zu erschaffen.«
»Ja, das habe ich mir schon gedacht. Ist es denn möglich?«
Wieder folgte eine lange Pause, in der er grübelte. »Bestimmt ist es möglich. Ich bin mir nur nicht sicher, ob
ich
es kann. Ich bin gut, doch das ist ein bisschen viel verlangt. Ein Pass hat viele Seiten, und sie sind sehr detailreich. Außerdem bräuchte ich einen amerikanischen Ausweis als Vorlage. Denn aus dem Stegreif weiß ich nicht, wie so ein Pass genau aussieht.«
»Ich kann dir einen amerikanischen Ausweis besorgen«, entgegnete
Weitere Kostenlose Bücher