Rosendorn
meines Vaters und machte die Tür hinter mir zu.
»Du bist zu früh«, erklang hinter mir Ethans Stimme, und ich musste mich zusammenreißen, um keinen Satz nach vorn zu machen und laut aufzuschreien.
Ich wirbelte zu ihm herum und schlug die Hand vor den Mund, um mein überraschtes Aufkeuchen zu dämpfen. Als ich ihn vorhin zum letzten Mal gesehen hatte, hatte er ein Stück die Straße hinunter in einer kleinen Allee herumgelungert. Ich hatte angenommen, dass er dort auf mich warten würde.
Ethan grinste mich an. Es war ein Grinsen, bei dem mein Magen einen Purzelbaum schlagen wollte. Heute war er ganz in Schwarz gekleidet – vermutlich angemessen, wenn man in den dunklen Gassen herumschlich – und hatte seine langen Haare im Nacken zusammengebunden. Nicht direkt der »Rambo-Stil«, trotzdem finster genug, um mir einen unheilverkündenden Schauer über den Rücken zu jagen.
»Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe«, sagte Ethan, auch wenn ich vermutete, dass er es mit voller Absicht getan hatte. Idiot.
Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah ich ihn an. »Ja, was ich heute Nacht vorhabe, ist ja noch nicht beängstigend genug, also sind solche Streiche eine fabelhafte Idee.«
Seine Reue wirkte jetzt etwas aufrichtiger, doch er entschuldigte sich nicht noch einmal. »Komm schon, lass uns gehen. Wohin wollen wir überhaupt?«
»Zum
Hilton.
Wo auch immer das sein mag.«
Ethan runzelte die Stirn. »Ein Auto wäre gut«, erwiderte er. »Das wird ein ziemlicher Fußmarsch.«
Na toll. Wenigstens hatte ich bequeme Schuhe an. »Den Berg rauf oder runter?«, fragte ich und betete, dass er die richtige Antwort geben würde.
»Runter.«
»Puh.« Ich versuchte, mir einzureden, dass das ein gutes Zeichen war und dass es bedeutete, dass das Schicksal auf meiner Seite war. »Dann geh du voraus.«
Der Nieselregen, den ich aus Dads Fenster bemerkt hatte, wurde zu einem leichten Regen, als wir losgingen. Natürlich hatte ich keinen Schirm dabei, ebenso wenig wie Ethan. Der Wollpullover hielt mich im Moment noch trocken, aber trotzdem war mir jetzt schon kalt. Ich ballte die Hände zu Fäusten und zog sie in die Ärmel des Pullis, um sie zu wärmen.
»Wenn das hier der Sommer ist«, brummte ich, »will ich euren Winter gar nicht erst kennenlernen.«
Zu meinem Entsetzen legte Ethan seinen Arm um meine Schultern und zog mich an sich, um seine Wärme mit mir zu teilen. Ich wusste, dass ich mich eigentlich nicht von ihm berühren lassen sollte – nicht nach allem, was ich über ihn erfahren hatte. Es lag mir auf der Zunge, ihm zu sagen, dass er seine Finger bei sich behalten solle. Doch er war so warm. Und er nutzte die Geste nicht als eine Art Anmache. Er sah mich nicht einmal an, sondern ging einfach nur weiter, als wäre es etwas so Selbstverständliches, den Arm um mich zu legen, dass ihm nicht in den Sinn kam, ich könne etwas dagegen haben.
Wenn alles gut ging, würde ich schon morgen aus Avalon verschwunden sein und Ethan nie mehr wiedersehen. Was machte es also, wenn ich ihm verwirrende Signale sendete? Was machte es, wenn ich so tat, als würde ich ihm verzeihen, auch wenn ich es in Wirklichkeit gar nicht tat? Seine Wärme vertrieb die Kälte, und so eine Gelegenheit sollte man nutzen. Also schlang ich meinen Arm um seine Taille, um uns das Laufen zu erleichtern. Keiner von uns verlor ein Wort darüber.
Nur fürs Protokoll: In Avalon zu Fuß unterwegs zu sein ist ätzend. Zumindest, wenn man versucht, den Berg hinauf- oder hinunterzulaufen, denn die Straße schlängelt sich den Berg entlang. Das heißt, selbst wenn das Ziel nur ein paar hundert Meter von einem entfernt liegt, muss man der gewundenen Straße um den Berg herum folgen, um dorthin zu gelangen.
Ab und zu gab es eine Treppe, über die wir von einer Ebene der Straße zur anderen abkürzen konnten, doch für meinen Geschmack viel zu selten.
Meine Knie und Knöchel sagten mir, dass es nicht unbedingt leichter war, eine ganze Weile den Berg hinunter- als hinaufzulaufen. Es verursachte nur eine andere Art von Schmerz. Hinzu kam, dass der stetige Regen meine Schuhe und Socken mittlerweile durchnässt hatte, so dass meine Füße zu Eisklötzen geworden waren.
Das Hotel lag am Fuße des Berges, in Sichtweite des Südtores. Der moderne Stil des
Hilton
passte irgendwie nicht zu den imposanten Gebäuden aus Ziegel und Stein, die das Hotel umgaben. An einer Seite gab es sogar ein mehrstöckiges Parkhaus.
Ethan und ich sahen inzwischen bestimmt schon
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