Rosendorn
Temperatur zu tun hatte, doch meiner Stimme merkte man nichts an.
Grace hob eine ihrer anmutig geschwungenen Augenbrauen. »Weißt du das nicht, meine Liebe?«, fragte sie mit einem süßlichen Lächeln.
»Du willst deinen eigenen kleinen Faeriewalker. Tja, dann lass dir gesagt sein, dass deine Methoden, mich für dich zu gewinnen, mich nicht gerade umwerfen.« O Mann, das klang ziemlich mutig. Und wenn meine Hände nicht so gezittert hätten, dann hätte Tante Grace vielleicht glauben können, dass ich so mutig war, wie ich mich anhörte.
Sie warf mir einen Blick zu, bei dem mir das Blut in den Adern gefror. »Offensichtlich hat deine Mutter dir keine Manieren beigebracht.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust – eher, um meine zitternden Hände zu verstecken, als um trotzig zu wirken. »Augenscheinlich hat deine Mutter das bei dir auch versäumt. Oder hältst du es für höflich, die eigene Nichte zu entführen?«
Grace bewegte sich so schnell, dass ich sie nicht hätte aufhalten können, selbst wenn ich es versucht hätte. Ihre Hand flog auf mein Gesicht zu und landete mit einem schallenden Klatschen auf meiner Wange. Ich keuchte auf, und Tränen schossen mir in die Augen. Mein Kopf fühlte sich an, als hätte ich gerade einen Zusammenstoß mit einem Lkw gehabt.
Ich schluckte die Tränen so gut wie möglich hinunter, biss die Zähne zusammen und befahl mir, nicht über so eine kleine Ohrfeige zu weinen. Ich dachte daran, welche Schmerzen Finn bei seiner Begegnung mit den Rittern hatte erleiden müssen. Wenn er das hatte aushalten können, ohne sich zu beklagen, dann konnte ich mich auch zusammenreißen, um Grace nicht die Genugtuung zu bereiten, mich weinen zu sehen.
»Das wollte ich schon lange tun – fast seit dem Moment, als du zum ersten Mal den Mund aufgemacht hast«, knurrte sie. »Und ich wiederhole es nur zu gern, falls du noch ein paar bissige Bemerkungen mehr auf Lager hast.«
Es gelang mir, meine Tränen zurückzuhalten, und ich legte auch nicht meine Hand auf meine schmerzende, brennende Wange. Allerdings war ich nicht scharf auf eine Wiederholung, also hielt ich den Mund.
»Kirk«, sagte Tante Grace zu ihrem Handlanger und gab ihm ein Zeichen, zu Mom zu gehen, die langsam wieder zu sich kam.
»Fass sie nicht an!«, schrie ich, als er sich zu ihr herunterbeugte. Doch er beachtete mich gar nicht, und da er eine Waffe in der Hand hielt, wagte ich es nicht, mich auf ihn zu stürzen. Keanes kunstvolle Aktionen waren nutzlos, wenn der Gegner eine Waffe hatte – und eine Geisel.
Kirk packte meine Mom und stieß sie aufs Bett. Sie gab ein überraschtes kleines »Hä?« von sich, aber sie war noch immer nicht bei sich. Kirk steckte die Pistole in den Gürtel, drehte meine Mom auf den Bauch und fesselte ihre Hände hinter ihrem Rücken. Als er fertig war, zog er die Waffe wieder aus seinem Gürtel und hielt meiner Mutter die Mündung an den Kopf.
»Wir beide werden jetzt einen kleinen Spaziergang machen, meine Liebe«, sagte Tante Grace zu mir und ergriff meinen Arm. »Benimm dich, und deiner Mutter wird nichts passieren.« Mit der anderen Hand zog sie ein Handy aus der Handtasche, die sie sich diagonal um den Körper geschlungen hatte, und wählte eine Nummer.
»Cathy Hathaways Zimmer, bitte«, sagte sie freundlich, als sich jemand meldete.
Das Telefon im Zimmer klingelte. Kirk nahm den Hörer auf und legte ihn auf das Nachttischchen.
»Könnt ihr mich verstehen?«, fragte Grace, und wir alle konnten ihre Stimme aus dem Zimmertelefon schnarren hören. »Perfekt!«
Sie schob mich zur Tür und fuchtelte mit ihrem Handy herum. »Wenn ich den Befehl erteile oder wenn die Verbindung unterbrochen wird, schießt Kirk deiner Mutter in den Kopf. Glaub nicht, dass er nicht tun wird, was man ihm befiehlt – er ist ein Profi. Also wirst du jederzeit genau das tun, was ich dir sage. Verstanden?«
Ich blickte zu meiner Mutter, die gefesselt, mit dem Gesicht nach unten und einer Pistolenmündung am Kopf auf dem Bett lag. Sie war vollkommen hilflos, und dieses Mal konnte ich es nicht auf den Alkohol schieben. Wenn sie nüchtern gewesen wäre, hätte sie in demselben Schlamassel gesteckt. Und es wäre noch immer meine Schuld.
»Ich habe verstanden«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, denn ich glaubte nicht, dass Tante Grace ein stummes Nicken gereicht hätte. In ihren Augen funkelte ein beinahe irres Licht. Ich fragte mich, ob sie nachweisbar verrückt oder ob ihr die Macht
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