Rosendorn
Jugendliche unter dreizehn – und das zeigte sich in diesem Moment. Meine Zunge schien an meinem Gaumen festzukleben, und ich nahm überdeutlich wahr, wie er mich berührte. Ich traute mich nicht, ihn anzusehen, und war froh, dass meine Haare mein Gesicht wenigstens teilweise verdeckten.
»Lass das, Ethan«, sagte Kimber, aber ich bemerkte einen Hauch Resignation in ihrer Stimme.
»Lass
was?
«, fragte er. »Ich will sie doch nur warm halten, weil du ihr ja nichts Dickeres als ein T-Shirt gegeben hast.«
Kimber murmelte etwas, das ich nicht ganz verstand, aber es klang nicht gerade schmeichelhaft. Ich fragte mich, ob sie überhaupt ein Kleidungsstück
besaß,
das wärmender als ein T-Shirt war, denn die Kälte schien den Feen nichts auszumachen. Die Wärme, die Ethan abstrahlte, war beachtlich. Automatisch fragte ich mich, wie hoch wohl ihre normale Körpertemperatur war.
Möglicherweise versuchte er
tatsächlich
nur, mich zu wärmen. Doch ich konnte mich noch immer nicht entspannen, und es glich einem kleinen Wunder, dass wir beide nicht als Knäuel von Armen und Beinen im Dreck landeten, wenn ich mir so ansah, wie unsere Hüften beim Laufen immer wieder unrhythmisch gegeneinanderprallten.
Als wir die Hauptstraße erreichten, wurde auch das Gehen leichter. Ich war kein großer Fan von Kopfsteinpflaster. Sicherlich waren solche Straßen hübsch anzuschauen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis man sich den Knöchel verstauchte. Highheels waren in Avalon sicher nicht gerade die herrschende Mode.
Auf der anderen Seite der Straße gab es nicht viel zu entdecken – nur einen gut gepflegten Grünstreifen und ein sehr stabil aussehendes Geländer am Rand der Klippe. Allein bei der Vorstellung, auf dieser Straße in einen Autounfall verwickelt zu sein, drehte sich mir der Magen um. Vielleicht war es doch nicht so seltsam, auf einem Pferd durch die Stadt zu reiten, wie ich zuerst gedacht hatte.
Es war nicht viel los, also konnten wir die Straße problemlos überqueren. Trotz meines unkoordinierten Ganges. Mir war allerdings schleierhaft, wohin wir wollten. Ich blickte den Grünstreifen entlang, aber so weit das Auge reichte, war nichts Interessantes zu erkennen.
Na ja, außer ich sah über das Geländer in die Ferne, doch ich hatte nicht viel Lust, das zu tun. Es schien so, als hätte ich mehr Angst vor der Höhe, als ich bisher geglaubt hatte.
»Wohin gehen wir?«, fragte ich und stellte erfreut fest, dass ich noch immer sprechen konnte.
»Genau hierhin«, entgegnete Ethan, und wir blieben stehen.
»Hier« kam mir nicht anders vor als jeder andere Fleck auf dem Grünstreifen. Ich runzelte die Stirn, verspürte aber kein Verlangen, noch mehr Fragen zu stellen. Falls Ethan wollte, dass ich seinen blöden Test machte, musste er mir schon erklären, was ich tun sollte.
Ethan zögerte einen Moment lang, ehe er wieder das Wort ergriff. Wahrscheinlich war er verärgert, weil ich überlegen geschwiegen hatte, statt sofort mit weiteren Fragen herauszuplatzen. Ein Punkt für mich!
»Richte deinen Blick in die Ferne und sag uns, was du siehst.«
Wenigstens bat er mich nicht, nach
unten
zu sehen. Ganz langsam hob ich den Kopf und hatte keine Ahnung, was ich erwarten sollte. Ich stellte mich innerlich auf etwas sehr Beängstigendes ein.
Doch alles, was ich sah, war eine dichte Nebelwand, die es unmöglich machte, besonders weit über den Graben hinauszublicken.
»Soll ich denn da etwas Ungewöhnliches sehen?«, fragte ich und spürte ein Gefühl der Erleichterung. Denn wenn ich nichts Ungewöhnliches sehen konnte, bedeutete das, dass ich nicht das war, für das die beiden mich hielten. Das bedeutete, dass ich für niemandes politische Ziele wichtig war. Und das wiederum bedeutete, dass ich immer noch die Hoffnung haben konnte, eines Tages zu meinem Dad ziehen und ein fast normales Leben führen zu können. Vielleicht war der Alptraum also bald vorbei.
Ich begann zu schwanken, weil mir plötzlich schwindelig wurde, und war froh, dass Ethan noch immer seinen Arm um mich gelegt hatte. Mein Magen fing an zu rumoren. Ich stieß auf und schmeckte die
Cheerios
auf meiner Zunge. Igitt.
»Ich fürchte, ich komme mit Höhe nicht besonders gut klar«, sagte ich und richtete meinen Blick schnell wieder auf das Gras zu meinen Füßen.
»Versuch es noch einmal kurz«, drängte Ethan.
»Nein danke. Es sei denn, du möchtest unbedingt, dass ich dir auf die Schuhe kotze.«
Er stellte sich hinter mich. Mit einem Mal lag seine
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