Rosendorn
Hand unter meinem Kinn, und er hob sacht meinen Kopf an. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut, als er in mein Ohr flüsterte.
»Nur noch einen Augenblick«, bat er.
Meine erste Reaktion war, aus Protest meine Augen zu schließen. Aber er ließ mich nicht los, ließ mich nicht in Ruhe. Und als ich versuchte, mich wegzudrehen, schlang er auch seinen anderen Arm um mich und hielt mich fest.
»Schau hin«, sagte er. »Bitte.«
Das »Bitte« war der Grund, warum ich meine Meinung änderte. Er klang beinahe verzweifelt, und mir wurde klar, dass ihm das, was auch immer ich sah – oder eben nicht sah –, eine Menge bedeutete. Mit einer oder zwei Minuten Übelkeit würde ich schon fertig werden.
Im Übrigen kannte Ethan vermutlich einen Zauberspruch, um mich dazu zu zwingen, meine Augen aufzumachen. Darauf hatte ich keine Lust.
Mit einem resignierten Seufzen öffnete ich also langsam meine Augen und wappnete mich gegen den Schwindel und die Übelkeit. Ich hielt den Atem an und hoffte, dass ich mich nicht würde übergeben müssen. Ethans wärmende Arme, die er um mich gelegt hatte, halfen mir, aufrecht stehen zu bleiben, als ich in die Ferne hinausblickte.
Außer dem Nebel konnte ich noch immer nichts erkennen. Ausgenommen … Der Nebel war irgendwie seltsam. Ich konzentrierte mich stärker. Durch den Nebel hindurch konnte ich stellenweise die englische Landschaft hinter dem Graben erkennen. Doch da war ein Glimmer von … etwas anderem. Ein schwaches Bild, das über der Landschaft zu liegen schien, fast wie ein Foto, das doppelt belichtet worden war. Ich versuchte, das schwer fassbare Bild irgendwie scharfzustellen, und mit einem Mal wurde es klar.
Gleich hinter dem Graben erstreckte sich ein dunkelgrüner Wald. Keine Weide und auch kein Haus waren in Sichtweite – nur als schwacher Hintergrund.
»Wow!«, stieß ich keuchend hervor. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, während mein Hals sich vor Angst zuschnürte. Ich wollte zurückweichen, aber Ethan hielt mich fest.
»Was siehst du?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf, starrte in den Nebel hinaus und wollte nicht glauben, was doch direkt vor meinen Augen war. Ich blinzelte, und der Wald war noch immer da. O Mist. Ich konzentrierte mich wieder auf die typisch englische Landschaft, und während ich sie betrachtete, wurde sie schärfer, und der Wald rückte in den Hintergrund, ohne jedoch ganz zu verschwinden.
»Was zum Teufel …«, murmelte ich. Mir wurde immer schwindeliger, und ich war mir sicher, dass ich hinunterfallen würde, in den Nebel, der sich vor meinen Augen immer wieder veränderte.
»Lass sie los«, sagte Kimber, und ich spürte ihre Hand auf meinem Arm. »Wir wissen doch, was sie sieht.«
»Ich will aber hören, wie sie es sagt!«, beharrte Ethan. Er stützte noch immer mein Kinn, und sein Gesicht war ganz nah neben meinem. Wahrscheinlich wäre ich durchgedreht, weil er mir so nahe war, wenn ich mich nicht so grauenvoll gefühlt hätte.
»Sieh ihr doch mal ins Gesicht, du Schwachkopf!«, erwiderte Kimber, und ihre Stimme klang scharf. »Sie wird gleich ohnmächtig.«
Überraschenderweise klang ohnmächtig zu werden in meinen Ohren wie eine gute Idee. Denn dann wäre ich bewusstlos gewesen und hätte das Unmögliche nicht mehr sehen müssen. Und mir wäre auch nicht mehr schwindelig und schlecht gewesen. Wenn ich dann wieder aufgewacht wäre, dann wäre das alles vielleicht verschwunden gewesen, und ich hätte festgestellt, dass das alles nur ein böser Traum gewesen sein konnte.
Der Nebel fing an, sich an den Rändern schwarz zu färben …
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9 . Kapitel
N ur fürs Protokoll: In Ohnmacht zu fallen ist ätzend. Ich hatte immer gedacht, dass ohnmächtig zu werden nur hieß, dass man für ein paar Sekunden das Bewusstsein verlor. Mir war nicht klar gewesen, dass damit Übelkeit, Schwindel, Schüttelfrost und kalter Schweiß auf der Haut einhergingen.
Als ich wieder zu mir kam, saß ich auf dem Grünstreifen und lehnte mit dem Rücken an etwas Festem, Warmem, während Kimber mir wieder und wieder auf die Backe schlug. Ich blinzelte, doch sie hörte nicht sofort auf. Meine Wangen brannten, mir standen Tränen in den Augen, und ich habe ja schon beschrieben, wie wundervoll ich mich
nicht
fühlte.
»Hör auf damit!«, zischte ich. Ich zog den Kopf ein und versuchte, ihren Arm mit meinem zu blockieren, aber ihre Reflexe waren schneller als meine, und so versetzte sie mir noch einen »sanften« Klaps.
»Bist du
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