Rosendorn
freigab.
»Das ist egal. Die Tunnel sind ein offenes Geheimnis. Außerdem ist das System riesig. Wenn also jemand Grace verraten sollte, dass wir in den Tunneln sind, reicht das nicht aus, um nach uns zu suchen.«
»Was ist mit den Spriggans?«, wollte ich wissen.
»Wir haben uns letzte Nacht um das Problem gekümmert«, beteuerte er. »Sie können sich vielleicht leichter nach Avalon einschleichen als Menschen, aber ich bezweifle ernsthaft, dass jemand sie zwei Nächte hintereinander schickt. Und jetzt komm schon! Es sei denn, du möchtest, dass wir noch immer hier stehen und diskutieren, wenn Kimber und ihr Verfolger zurückkommen.«
Zu sagen, dass mir der Gedanke an die Tunnel nicht gefiel, war die reinste Untertreibung, doch ich musste zugeben, dass ich mich draußen im Freien furchtbar angreifbar fühlte. Also biss ich nickend die Zähne aufeinander, und Ethan ließ endlich meine Hand los, damit ich die Leiter hinunterklettern konnte.
Die Steinplatten hatten die Öffnung über unseren Köpfen schon wieder verschlossen, als meine Füße den Boden des Tunnels berührten. Bis auf den dünnen Lichtstrahl der Taschenlampe in Ethans Hand war es stockdunkel. Ich trat zur Seite, als Ethan aus halber Höhe von der Leiter sprang und anmutig neben mir landete. Bei einem derartigen Manöver hätte ein Mensch sich mindestens den Knöchel verstaucht.
Ich erinnerte mich an die heutige Unterrichtsstunde in Zauberei mit Kimber, und das Gelernte passte nicht zu dem, was ich gerade gesehen hatte.
»Gestern Nacht hast du keinen Zauber gesprochen, um die Einstiegsluke zu öffnen«, sagte ich. »Warum musstest du es heute?«
»Ich arbeite noch immer daran, ohne Worte zu zaubern«, erwiderte er. »Es ist viel schwieriger, und es strengt mich sehr an.« Er wirkte ungewöhnlich ernst. »Deshalb konnte ich die Jungs gestern auch nicht besser heilen. Wenn ich die Einstiegsluke auf die einfache Weise geöffnet hätte …« Er zuckte mit den Schultern und ließ den Satz unvollendet.
Vermutlich hätte ich etwas sagen sollen, um ihm die Schuldgefühle zu nehmen. Aber ich erinnerte mich gut daran, wie er vergangene Nacht Salz in Kimbers Wunde gestreut hatte, als er so mit seinen Fähigkeiten angegeben hatte, und ich fand, er verdiente es, ein bisschen zu schmoren. Egal, wie cool er war.
Als ich nichts sagte, entstand ein peinliches Schweigen. Doch Ethan beendete die Verlegenheit schon bald, indem er wieder einmal in das Herz des Berges vorausging.
Gestern waren wir ziemlich lange geradeaus gelaufen, ehe wir zu der Höhle abgebogen waren. Jetzt gingen wir praktisch sofort in einen Seitentunnel, dann in den nächsten und in den nächsten, bis ich so vollkommen durcheinander war, dass ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wo ich mich befand. Ich fragte mich automatisch, ob Ethan das mit Absicht tat, ob er dafür sorgen wollte, dass ich nicht ohne Hilfe aus dem Tunnelsystem herausfand.
Bisher war das einzige Zeichen, das ich entdeckt hatte und das bewies, dass die Tunnel nicht vollkommen verlassen waren, die Höhle des
Studentischen Untergrundes
gewesen. Aber heute Abend führte Ethans und mein Weg in einen ganz anderen Teil des Tunnelsystems. Wir bogen um eine Ecke, und plötzlich wurde der Gang merklich breiter und außerdem von elektrischen Lampen erhellt. Eine breite Treppe führte offenbar an die Oberfläche, und ein stetiger Strom von Personen bewegte sich die Stufen hinauf und hinunter. Ihre Stimmen hallten in dem begrenzten Raum wider, doch ich konnte über das Gemurmel hinweg Musik hören und den Bass unter meinen Füßen wummern spüren.
»Da unten gibt es einen großartigen Nachtklub«, erklärte Ethan und wies auf eine abwärtsführende Treppe. Auf einem Neonschild mit einem blinkenden Blitz, das über den Stufen hing, stand: Hier entlang zu
The Deep.
»Ich muss dich mal mitnehmen, wenn sich die ganze Aufregung gelegt hat.«
Ich war mir nicht sicher, was ich dazu sagen sollte. Es klang beinahe so, als wollte er mich um ein Date bitten. Ich runzelte die Stirn. Eigentlich war es gar keine
Frage
gewesen.
Bevor ich sämtliche Bedeutungen dieses einfachen Satzes durchanalysieren konnte, führte Ethan mich zu einer anderen Abzweigung des Tunnels, und kurz darauf waren wir zurück in dem dunklen, unheimlichen Teil, in dem man Beklemmungen bekommen konnte. Ich bemühte mich, mir den Weg zu merken, damit ich notfalls wenigstens zurück zur Treppe fand, die ans Tageslicht führte.
Wir liefen weitere fünfzehn Minuten und bogen
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