Rosendorn
des Berges, und ich war froh, dass Dad mit dem Auto gekommen war. Es war ein schnittiger kleiner roter Flitzer, vermutlich irgendein italienischer Sportwagen. Die Art, bei der die Fabrikanten niemals etwas so Krasses tun würden, wie Baureihe und Modell dort zu plazieren, wo jeder es sehen konnte. Die Schalensitze waren so niedrig, dass ich fürchtete, mit dem Hintern auf den Asphalt zu stoßen, wenn wir über eine Bodenschwelle fuhren. Falls es die hier in Avalon überhaupt gab.
Dad lachte, als er einstieg. »Ich weiß, für den Gebrauch in Avalon ist es ein bisschen übertrieben«, sagte er und tätschelte das Armaturenbrett, als wäre es sein Lieblingshaustier. »Ich wünschte, ich könnte in die Welt der Sterblichen fahren, um zu sehen, wie schnell der Wagen wirklich ist.«
Der Motor schnurrte, als Dad den Schlüssel in der Zündung drehte und vom Parkplatz auf die steile kurvenreiche Straße bog, die uns auf den Berg hinaufführen würde.
»Bevor du das herausfindest, würdest du wahrscheinlich erst mal eine Handvoll Strafzettel für zu schnelles Fahren kassieren«, murmelte ich und spürte die Kraft des Wagens, der die steile Straße mühelos bewältigte.
Er lachte. »Ja, wahrscheinlich.«
Ich wusste nicht, wie hoch die erlaubte Geschwindigkeit in Avalon war – es schien keine Straßenschilder zu geben –, doch mein Dad überschritt sie ganz sicher, als er die Straße entlangjagte. Ich bemühte mich, den Türgriff nicht zu zerquetschen, als wir durch die Kurven rasten. In einem unbedachten Moment warf ich einen Blick aus dem Seitenfenster. An diesem strahlend schönen, klaren Tag konnte ich kilometerweit sehen. Leider sah ich kilometerweit dunkelgrünen Wald. Faerie.
Ohne zu blinzeln, wandte ich die Augen ab. Die viel zu schnelle Autofahrt war für meinen Magen schon schlimm genug – da brauchte ich nicht auch noch den Übelkeit erregenden Blick durch das Glimmerglas. Als ich wieder durch die Frontscheibe starrte, bemerkte ich aus den Augenwinkeln den Blick meines Vaters, und ich rechnete damit, dass er mich fragen würde, was ich gesehen hatte. Doch das tat er nicht, und ich war erleichtert darüber. Ich wollte im Moment wirklich nicht über die ganze Faeriewalker-Sache reden.
Dads Haus war nicht annähernd so idyllisch wie das von Tante Grace. Das gesamte Erdgeschoss war praktisch eine Doppelgarage – dort, wo eigentlich das zweite Auto hätte stehen sollen, befand sich allerdings ein Pferdestall. Dieser war im Augenblick leer, kein Stroh lag aus, der schwache Duft nach Scheune, der in der Luft hing, sagte mir jedoch, dass der Stall nicht nur Show war. Hieß das, dass Dad regelmäßig Ausflüge nach Faerie machte?
Wir mussten eine Wendeltreppe hinaufklettern, um in den zweiten Stock zu gelangen, wo der eigentliche Wohnbereich begann. In dieses Haus ein- und wieder auszuziehen musste der reinste Alptraum sein. (Sagt das Mädchen, das schon genügend Umzüge durchmachen musste, um es wissen zu müssen.) Selbst einen Koffer diese Treppe hinauf- und hinunterzutragen war schon eine Herausforderung.
Als wir den Treppenflur verließen, standen wir in einem geräumigen Wohnzimmer. Eine winzige Küche versteckte sich in einer Ecke. Die gesamte Wand zur Straße hin bestand aus riesigen Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten. Ich bemühte mich, keinen Blick durch die Fensterfront zu werfen – das Glimmerglas –, auch wenn ich mir sicher war, dass der Ausblick spektakulär war. Stattdessen sah ich mich im Wohnzimmer um und versuchte, durch die Umgebung einen Eindruck von dem Mann zu bekommen, der mein Vater war.
Man sagt von Feen, sie seien altmodisch (vor allem, weil der Großteil von ihnen tatsächlich bereits zigtausend Jahre alt ist). Graces Haus und Kimbers Wohnung hatten mit den Antiquitäten und der konservativen Ausstattung genau in dieses Bild gepasst. Dads Haus dagegen sah nicht wie ein Ort aus, an dem ein Mitglied des Feenvolkes lebte. Nicht mit den großen modernen Fenstern, mit der modernen Kunst an den Wänden oder mit den modernen dänischen Möbeln. Ich hatte dänische Möbel immer gehasst, aber es war Moms Lieblingsstil. Und allmählich begann ich, den Grund dafür zu verstehen.
»Das Hauptschlafzimmer ist im zweiten Stock«, sagte mein Dad, »und ein Gästezimmer und eine kleine Bibliothek befinden sich im dritten Stock.« Die Garage im Erdgeschoss zählte offensichtlich nicht als eigene Etage. »Möchtest du dich zuerst umziehen und ein bisschen frisch machen? Dann
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