Rosendorn
zeigte deutlich, in welcher Verfassung ich mich befand. Warum ich meinen Vater verdächtigte, mich vergiften zu wollen, konnte ich mir nicht mal selbst erklären. Von nun an würde ich vermutlich jeden Tag damit beginnen, mir Sorgen zu machen, dass »sie« jeden meiner Schritte beobachteten. Ich verdrehte die Augen und nippte zögerlich an dem Champagner.
Der heiße Punsch war überraschend köstlich gewesen. Der Champagner … nicht so. Ich konnte nicht verhindern, dass ich die Nase kräuselte, auch wenn es wahrscheinlich ziemlich unhöflich war.
»Man gewöhnt sich an den Geschmack«, sagte Dad.
Ich stellte das Glas auf den Couchtisch. »Allerdings ist es kein Geschmack, an den
ich
mich unbedingt gewöhnen möchte.«
»Und wie kommt das?«, fragte er und legte neugierig den Kopf schräg.
Ich wandte den Blick ab und zuckte die Achseln. »Na ja, du kennst ja meine Mutter.«
Einen Herzschlag lang herrschte Schweigen. »Wieso? Was ist mit ihr?«
Seit ich denken konnte, war Mom schon eine Trinkerin. Es war mir nie in den Sinn gekommen, dass es in ihrer Vergangenheit eine Zeit gegeben haben könnte, in der sie nicht gesoffen hatte. Ich schluckte schwer.
»Hat sie nicht zu viel getrunken, als ihr euch kennengelernt habt?«
»Aha«, sagte Dad und stellte sein eigenes Glas ab. »Ich verstehe. Sie hat damals nicht mehr und nicht weniger getrunken als die meisten Frauen in ihrem Alter.« Er seufzte. »Doch es überrascht mich nicht direkt, dass sie ein Alkoholproblem bekommen hat. Auf der Welt gibt es keinen zweiten Ort wie Avalon, und ich kann mir vorstellen, dass es … schwierig für jemanden sein kann, der sein ganzes Leben hier verbracht hat, plötzlich komplett von dieser Stadt abgeschnitten zu sein.«
Seine Worte explodierten in meinem Innersten wie eine Bombe.
Meine Mutter war keine Alkoholikerin gewesen, als sie noch in Avalon gelebt hatte. Sie hatte Avalon nicht verlassen, weil es ihr
Wunsch
gewesen war, sondern weil sie entschlossen gewesen war, mich vor den politischen Intrigen und Machtkämpfen in Avalon zu schützen. Und ihre Heimat zu verlassen hatte sie so schwer getroffen, dass sie angefangen hatte, zu viel zu trinken.
O Gott. All die Jahre hatte ich sie verachtet, ihr Vorwürfe gemacht … Und dabei war es
meine
Schuld, dass sie eine Trinkerin war.
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15 . Kapitel
E ntweder versteckte ich meine Gefühle besser, als ich gedacht hätte, oder mein Dad war nicht besonders aufmerksam. Er hatte das Bild, das ich von meiner Mutter gehabt hatte, mit einigen wenigen Worten zerstört, und es war ihm nicht einmal aufgefallen.
»Tja, wenn du keinen Champagner möchtest, wie wäre es dann mit Tee?«, fragte er.
Ich wollte keinen Tee. Ich wollte überhaupt nichts – außer vielleicht nicht gehört zu haben, was er gerade gesagt hatte. Aber ich nickte trotzdem, und Dad verschwand in der Küche. So gab er mir einige Minuten, um mich zu sammeln. Es war zwar nicht annähernd genug Zeit, doch ich hatte in den vergangenen Tagen genügend Schocks erlitten, so dass der Schmerz sich ziemlich schnell in Dumpfheit wandelte. Ich glaubte zwar nicht, dass diese Gefühllosigkeit für immer anhalten würde, und ich war mir sicher, dass die Auswirkungen, wenn sie dann nachließ, wahrscheinlich ziemlich unangenehm sein würden, aber im Augenblick war ich dankbar dafür.
Das Telefon klingelte, und das Geräusch war so alltäglich, dass es mich aus meinen Grübeleien zurück in die reale Welt riss. Ich hörte, wie mein Vater das Gespräch in der Küche annahm.
»Ja, sie ist hier«, sagte er und klang belustigt. Es herrschte kurz Stille, während der Teekessel zu pfeifen begann. »Natürlich habe ich das gemacht«, sagte mein Vater, und das Pfeifen des Kessels hörte abrupt auf. »Es wäre doch ziemlich dumm von mir gewesen, das nicht zu tun, oder?« Er schwieg, während sein Gesprächspartner, wer auch immer das sein mochte, etwas erwiderte, und dann lachte er. Der Klang zerrte irgendwie an meinen Nerven. Vielleicht, weil eine Spur Gehässigkeit in dem Lachen mitschwang. Oder vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. »Ich werde ihr deine besten Wünsche ausrichten«, sagte mein Vater, »allerdings bezweifle ich, dass sie im Augenblick mit dir reden möchte. Es war aber gut, dass du angerufen hast, um dich nach ihr zu erkundigen.«
Es piepste, als er das Gespräch beendete, und dann hörte ich ihn in der Küche hantieren. Dad kam mit einem Teeservice auf einem Tablett ins Wohnzimmer zurück. Im Allgemeinen
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