Rosendorn
hinaufstapfte. Kindisch, ich weiß, doch ich fand, dass ich das Recht dazu hatte.
Es gab ein Telefon in meinem Zimmer, also unternahm ich einen weiteren Versuch, meine Mom anzurufen. Ich wusste nicht genau, was ich ihr sagen sollte; vor allem, nachdem ich erfahren hatte, warum sie trank. Aber alles, was mir bisher in Avalon passiert war, erschien mir so unwirklich. Und die Vorstellung, mich mit der Wirklichkeit in Verbindung zu setzen – auch wenn es die deprimierende Realität meiner Mutter und ihrer Alkoholsucht war –, kam mir sehr reizvoll vor.
Doch wieder erwischte ich nur den Anrufbeantworter. Da ich nicht wusste, was für eine Nachricht ich hinterlassen sollte, legte ich auf.
Ich war mir sicher, dass ich den Rest des Nachmittags mit Grübeln verbringen würde, wenn ich mich nicht beschäftigte, also schloss ich meinen Laptop an und begann endlich damit, eines der unanständigen Bücher zu lesen, die ich heruntergeladen hatte. Aber ich konnte mich nicht darauf konzentrieren. Sobald eine Szene auch nur anfing, entfernt heiß und sexy zu werden, ertappte ich mich dabei, wie ich mir das Gefühl von Ethans Lippen auf meinen vorstellte, die Wärme seines Körpers, als er sich über mich gebeugt hatte. Was direkt zu der Erinnerung führte, wie er mich belogen und betrogen hatte.
Die Abwärtsspirale Richtung Elend wurde durch den Klang der Türklingel unterbrochen. Für den Bruchteil einer Sekunde hoffte ich, es wäre Ethan, der kam, um vor mir auf die Knie zu fallen und mich um Verzeihung zu bitten. Doch ich würde ihm niemals verzeihen. Und auch wenn es befriedigend sein mochte, ihn kriechen zu sehen, konnte ich es jetzt gerade nicht ertragen, ihm gegenüberzutreten.
Die Holztreppe knarrte, als sich jemand näherte, und kurz darauf erschien Finn in der Tür. Er hatte sein Jackett, seine Krawatte und auch seine Sonnenbrille abgelegt, und ich dachte nur noch … wow! Wenn er ohne seine Secret-Service-Mann-Verkleidung herumlief, war er eine echte Gefahr, denn jede Frau hinter dem Steuer eines Autos vergaß bei seinem Anblick glatt, auf die Straße zu schauen. Wenn da nicht die Schrägstellung der Augen gewesen wäre, dann wäre er sicher der erste Anwärter für den nächsten James-Bond-Film gewesen.
»Du hast Besuch«, sagte er, und ich musste mir ein albernes Kichern verkneifen, denn sein Akzent war so britisch, dass ich unvermittelt denken musste: »Bond. James Bond.«
»Falls es Ethan sein sollte, können Sie ihm ausrichten, dass er es vergessen kann«, entgegnete ich, und der Drang zu lachen war schlagartig verschwunden.
Finn schüttelte den Kopf. »Es ist Kimber. Aber wenn du nicht mit ihr sprechen willst, ist das durchaus verständlich. Dann schicke ich sie weg.«
Vielleicht wäre es richtig gewesen, sie abzuweisen. Sie hatte mich noch schlimmer enttäuscht und verletzt als Ethan – schon allein, weil ich ihr gegenüber meinen Selbstschutz aufgegeben und ihr vertraut hatte, während ich bei Ethan immer misstrauisch geblieben war. Es versetzte mir einen Stich ins Herz, nur daran zu denken, wie sie mich belogen hatte. Und trotzdem … Als wir gestern gemeinsam in ihrem Zimmer gesessen hatten, hatte ich einen verlockenden Blick darauf bekommen, wie es sein konnte, eine richtige Freundin zu haben, eine Freundin, vor der ich nichts verbergen musste. Und es hatte mir gefallen. Sehr sogar.
Ich wusste nicht, ob ich bereit war, ihr zu vergeben – angenommen, sie mochte mich
wirklich
und wollte Vergebung –, doch ich würde es nie erfahren, wenn ich nicht mit ihr sprach. Im Übrigen hatte ich Ethan am Nachmittag auch angehört. Es war also nur gerecht, wenn ich Kimber die gleiche Chance bot.
»Ich komme gleich runter«, sagte ich zu Finn, und er nickte.
Ich atmete ein paarmal tief durch, während ich lauschte, wie sich seine Schritte entfernten. Dann nahm ich meinen ganzen Mut und meine Würde zusammen und machte mich auf den Weg ins Wohnzimmer.
Kimber saß steif auf der Couch, als ich aus dem Treppenflur trat. Ich sah mich nach Finn um, konnte ihn aber nirgends entdecken.
»Er ist unten«, sagte Kimber, stand auf und wandte sich mir zu.
Ich war erleichtert, dass wir diese Szene nicht vor Publikum geben mussten, obwohl mir die Vorstellung missfiel, dass Finn in der Garage herumhängen musste. Ich ging mit vor der Brust verschränkten Armen auf Kimber zu, das Kinn trotzig vorgeschoben. Kimber starrte einen Moment lang ihre Füße an, ehe sie den Mut fand, meinen Blick zu erwidern.
»Mein Vater
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