Rosendorn
ganz zu schweigen von einem Ritter«, sagte er. »Man könnte sich fragen, ob du heute Morgen überhaupt
irgendetwas
gelernt hast.«
Mit leicht zusammengekniffenen Augen funkelte ich ihn an. Ich wusste, dass er mich reizen wollte, wusste, dass ich seine Bemerkung eigentlich gar nicht beachten sollte. Aber ich spürte jetzt schon, dass er einen ganz schlechten Einfluss auf mich hatte.
»Man könnte sich auch fragen, warum du gern möchtest, dass ich deinem Vater das Bein breche«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Keane machte den Mund auf, um etwas – ganz sicher Unfreundliches – zu erwidern, doch Finn unterbrach ihn.
»Genug, Kinder«, sagte er, aber er klang nicht, als wäre er ernsthaft wütend. »Versucht bitte, die Feindseligkeiten auf die Übungsmatte zu beschränken.«
Keane kam mir nicht wie ein Typ vor, der sich um elterliche Anweisungen scherte, doch zu meiner Überraschung hielt er den Mund. Ich wollte gar nicht näher darüber nachdenken, warum mich das seltsamerweise ein bisschen enttäuschte.
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22 . Kapitel
I ch zog mich in mein Schlafzimmer zurück und überließ Finn und Keane sich selbst. Für das Gespräch mit meiner Mutter brauchte ich definitiv kein Publikum. Angespannt saß ich neben dem Telefon, wartete ungeduldig und sah zu, wie die Zeiger der Uhren unablässig weiterwanderten.
Mom hatte nicht erwähnt, in welchem Hotel sie wohnte. Und selbst wenn sie es gesagt hätte, hätte ich wahrscheinlich nicht gewusst, wo es war. Also hatte ich auch keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis sie dort war. Allerdings glaubte ich kaum, dass man mehr als zwanzig Minuten brauchte, um irgendein Ziel in Avalon zu erreichen – es sei denn, man war zu Fuß unterwegs. Aber meine Mom hätte sich ganz sicher ein Taxi genommen, wenn sie nicht gerade
direkt
um die Ecke wohnte. Dennoch verrannen die Minuten, und sie hatte sich noch immer nicht gemeldet.
Möglicherweise hatte sie noch kein Zimmer. Vielleicht stand sie in einer langen Warteschlange vor der Rezeption, und deshalb dauerte es so lange, um sich mit mir in Verbindung zu setzen. Trotzdem machte ich mir Sorgen. Finn war brutal zusammengeschlagen worden, weil man mich hatte treffen wollen. Würden sie auch versuchen, meine Mutter zu benutzen?
Ich lief in dem kleinen Zimmer auf und ab und wünschte mir, das Telefon würde endlich klingeln. Panik breitete sich wie Feuer in meinem Körper aus. Sie war vielleicht nicht die perfekte Mutter, und ich hatte nicht mehr mit ihr zusammenleben wollen – auch wenn mir diese alten Zeiten mit ihr im Augenblick gar nicht mehr so schlimm erschienen. Nichtsdestotrotz liebte ich sie. Und ich wusste, dass sie mich auch liebte. Sie hatte alles aufgegeben, um mich davor zu bewahren, in die verworrenen politischen Spielchen und Intrigen in Avalon verwickelt zu werden, und was hatte ich getan? Ich war von zu Hause weggelaufen und hatte mich in dieses Haifischbecken gestürzt. Wie hatte ich nur so egoistisch, so selbstsüchtig sein können?
Das Telefon klingelte, bevor ich vor Schuldgefühlen noch umkam. Ich stieß das Telefon praktisch zu Boden, weil ich mich so hastig daraufstürzte – auch wenn ich Angst davor hatte, am anderen Ende eine drohende Stimme zu hören, die mir sagte, dass sie meine Mutter hätten. Die Nummer auf dem Display zeigte mir, dass der Anruf aus dem
Hilton
kam, doch das beruhigte mich nicht.
»Mom?« Ich schrie das Wort beinahe in den Hörer und drückte dabei die Daumen – als ob das irgendetwas bringen würde.
»Hi, Süße«, sagte sie, als hätte mich die Angst um sie nicht gerade zehn Jahre meines Lebens gekostet.
Ich sank auf das Bett, eine Hand auf die Brust gelegt, und versuchte, mein Herz dazu zu bringen, nicht mehr wie wahnsinnig zu hämmern.
»Warum hat das so lange gedauert?«, fragte ich. »Du hast mich fast zu Tode geängstigt!«
»Check-in-Zeit ist erst ab drei Uhr, also war mein Zimmer noch nicht fertig. Tut mir leid. Ich hätte dich aus der Lobby anrufen sollen, um dir Bescheid zu sagen.«
Ich kniff die Augen zusammen und biss mir auf die Zunge, um nichts zu sagen, das ich bereuen würde. Denn wenn es etwas gibt, das ich in den Jahren mit meiner Mutter gelernt habe, dann ist es, dass Betrunkene lügen. Und sie log.
Woher ich das wusste? Weil ich den Alkohol in ihrer Stimme hören konnte. Sie sprach nicht mit schwerer Zunge und hatte auch keine Artikulationsschwierigkeiten, wie man es von Betrunkenen im Fernsehen kennt – sie hatte
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