Rosenfolter
Die Dose war aus Versehen
auf dem Müll gelandet. Aus Unachtsamkeit. Oder wegen eines Missverständnisses. So
was kam vor. Und sie überlegte, ob diese ein wenig schrumpeligen Hagebutten mit
dem Ohr, dem Finger und der Hand zu tun haben könnten, die man auf dem Gelände zwischen
Gaustadt und Hafen gefunden hatte. Oder gar mit der Leiche. Im Internetcafé hatte
Feli später die einschlägigen Seiten auf www.infranken.de aufgerufen. Die Leute
übertrumpften sich gegenseitig mit schrulligen Theorien, was hinter dieser blutigen
Chose stecken könnte.
Eine Rose, überlegte
Feli, steht für Eigensinn. Rosen sind kapriziös. Richtige Zicken. Hielten sich für
unwiderstehlich. Sah ein Knab ein Röslein stehn. Feli brummte in sich hinein. Waren
die Körperteile nicht auf Rosenkissen dargeboten worden? Wie eine Brautgabe, überlegte
Feli. Nicht, dass sie sich besonders gern an ihre Hochzeit erinnerte. Davon konnte
wirklich nicht die Rede sein. Allein das Bouquet war eine Zumutung gewesen. Und
der Bräutigam erst. Aber das war lange her. Man kam über Fehler hinweg. Fehler waren
augenscheinlich ein entscheidender Faktor der Evolution. Fehler zu überleben bedeutete,
zu den Stärkeren zu gehören.
Feli pfiff leise
vor sich hin. Röslein auf der Heiden. Charmant, aber zickig.
21
Katinka wäre über die Frage, wie
sie an Fabio Birk herantreten sollte, beinahe an ihrem Schreibtisch eingedöst. Seltsam:
Je länger sie am Morgen schlief, desto müder fühlte sie sich tagsüber. Zum Glück
klopfte jemand an die Tür.
»Es ist offen!«
Eine junge Frau
mit sprödem, langem Haar trat ein. Sie trug eine bunte Tunika zu ausgefransten Jeans
und eine Sonnenbrille, die beinahe ihr ganzes Gesicht verdeckte.
»Hi. Ich bin Özlem.
Özlem Canavar. Sie beschützen doch Leute. Oder?«
»Stimmt.« Katinka
wurde neugierig. Die Lady kam ja in rasantem Tempo zur Sache. »Setzen Sie sich.«
»Danke. Also. Ich bin Türkin. Eigentlich Deutsche. Hier geboren, aufgewachsen,
eingeschult, Gymnasium, Abitur, Ausbildung. Aber eben immer noch Türkin irgendwie.«
Sie zündete sich
eine Gauloise an. Katinka wartete ab.
»Es geht um meine
Brüder. Die wollen mir ans Leder.« Özlems Finger zitterten, als sie tief den Rauch
inhalierte. Ihre Augen waren hinter den schwarzen Brillengläsern nicht zu sehen.
Ihr Gesicht war knochig, das Kinn breit und kantig. Wären nicht die ausladenden
Gesten gewesen, als sie ihr Feuerzeug wegpackte und sich durch das lange Haar fuhr,
hätte Katinka sie für verhuscht gehalten.
»Kann uns hier
jemand beobachten?«, fragte Özlem heiser.
Katinka stand auf,
versperrte die Tür und schloss die Jalousien. Özlem entspannte sich etwas.
»Ich habe einen
deutschen Freund. Wir wollen heiraten. Dass das Ärger gibt, war mir klar, aber ich
dachte eigentlich, meine Leute wären aufgeklärt. Ich bin fast 30. Also durch und
durch erwachsen.«
Katinka enthielt
sich einer Meinung. »Wie viele Brüder haben Sie?«
Özlem hob die Hand
und deutete mit Daumen und Zeigefinger eine Zwei an.
»Haben Ihre Brüder
Ihnen gedroht? Gab es Andeutungen?«
»Andeutungen?«
»Drohungen, dass
die beiden Ihnen etwas antun wollen.«
»Also … ja.«
»Welcher Art?«
Katinka schob ihr einen Aschenbecher hin.
»Dass sie … mir
was tun wollen.« Özlem schob die Brille auf die Nasenspitze und sah Katinka aus
bernsteinbraunen Augen an. Ihr rechtes Lid zuckte. »Reicht das nicht?«
Ȇberhaupt nicht.
Im Gegenteil: Ich möchte die Gefahr, in der Sie sich befinden, so konkret wie möglich
erfassen. Was haben Ihre Brüder wörtlich gesagt? Haben sie durchblicken lassen,
ob ein Übergriff unmittelbar bevorsteht? Wie er aussehen wird? Haben Ihre Brüder
vielleicht einen Waffenschein? Hobbys, Vorlieben? Kampfsport vielleicht? Sind die
beiden eher spontane Typen oder planen sie langfristig?«
Özlem wurde blass.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Lassen Sie sich
Zeit. Rekapitulieren Sie: Wann sind Sie in jüngster Zeit mit Ihren Brüdern zusammengekommen?
Wann gab es Drohungen? Konflikte? Wie sahen die aus?«
»Ich … weiß nicht.«
Özlem drückte ihren Glimmstängel aus. »Ich bin nur noch nervös.« Sie zündete sich
die nächste Zigarette an. »Andeutungen gab es, seit sie wussten, dass ich mit Markus
zusammen bin.«
»Wo wohnen Ihre
Brüder?«
»In … in Bischberg.«
»Sind sie verheiratet?
Haben sie Familie?«
»Äh … nein.«
»Weiß Ihr Freund,
dass Sie mich beauftragen?«
»Klar. Markus hat
die Drohungen zuerst nicht ernst
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