Rosenherz-berbKopie
und waren kurz
darauf aus Annas Blickfeld verschwunden.
Um
sieben Uhr einundzwanzig verließ Anna den Wagen und ging zum
Eingang. Sie lief ein paar Meter auf das Gelände, hielt in alle
Richtungen Ausschau, aber weit und breit war niemand zu sehen, der
aussah, als könne er Bruno Kürten sein.
Sie
ging wieder nach draußen und steckte sich eine Zigarette an.
Ein Mann auf einem Fahrrad näherte sich ihr und fuhr schnaufend an
ihr vorbei. Kurz danach hörte sie die Bremsen des Rades quietschen.
Sie
drehte sich um. Der Mann stieg aus dem Sattel, fummelte an der
Innentasche seiner Jacke, nahm etwas in die Hand und schaute Anna an.
Sie
ging einen Schritt auf ihn zu. «Sind Sie Bruno Kürten?»,
fragte sie.
«Was?»
«Schon
gut», sagte Anna.
«Können
Sie mir Feuer geben?»
«Wollen
Sie auf dem Fahrrad rauchen?»
«Mach
ich immer», sagte der Mann und hielt ein Zigarillo in die Höhe. «An
der frischen Luft schmeckt's am besten. Hab nur mein Feuerzeug
vergessen.»
Anna
gab ihm Feuer und wartete, bis er hinter der Mauer verschwunden war.
Dann
sah sie den Zettel. Ein kleines weißes Stück Papier, wahrscheinlich
aus einem Taschenkalender gerissen, auf das jemand mit krakeliger
Handschrift ein paar Worte notiert hatte.
Sie
ging näher und las: «Marthaler, gehen Sie bis zum Ehrenmal.
BK».
«Verdammt!»,
murmelte sie und schaute sich ratlos um. Sie pflückte den Zettel vom
Gitter und steckte ihn in die Hosentasche.
Fünfzig
Meter weiter sah sie einen Friedhofsarbeiter, der Kränze und Blumen
von einem Grab entfernte und auf den Anhänger seines kleinen
Traktors warf.
«Wo
ist das Ehrenmal?», rief sie ihm zu.
Der
Mann schaute auf. Als sie bei ihm angekommen war, fragte sie noch
einmal. Er zeigte irgendwo in das Dickicht der hoch gewachsenen
Bäume. «Dahinten!», sagte er und sah ihr verwundert nach, als sie
jetzt losspurtete.
Anna
lief an dem Feld mit den unzähligen roten Sandsteinkreuzen
vorbei und erreichte einen großen, hässlichen Rundbau aus
dunkelgrauem Stein, der durch einen breiten Durchbruch frei
zugänglich war. Sie ging hinein, aber es war nichts zu sehen außer
der riesigen schwarzen Figur eines gefallenen Soldaten.
«Herr
Kürten», rief sie. «Herr Kürten, sind Sie hier irgendwo?»
Niemand
antwortete.
Sie
näherte sich der Statue. Auf der Brust des Soldaten lag, von einem
Stein beschwert, ein weiterer Zettel. «Gehen Sie geradeaus in
Richtung Haupteingang. Hinter dem weißen Engel rechts zum Mausoleum
Gans. Gehen Sie rein. Ich warte. BK».
Was
soll das, dachte sie, willst du mit mir Schnitzeljagd spielen?
Ein
Schild zeigte ihr den Weg zum Haupteingang. Sie folgte der langen,
geraden Straße.
Als
sie das Grab mit dem großen, weißen Engel passiert hatte, sah
sie hundert Meter weiter rechts auf einem freien Platz, von einer
Rasenfläche umgeben, den kleinen runden Tempel stehen. Im ersten
Moment traute sie ihren Augen nicht. Sie schüttelte den Kopf. Das
Gebäude war die exakte Kopie des Tempietto di Bramante, jener
Renaissance-Kapelle, die sie zehn Jahre zuvor während einer Romreise
mit ihrem Vater und den Brüdern nicht nur einmal, sondern gleich
dreimal hatte besichtigen müssen. Sie hatte fast alles vergessen,
was ihr Vater damals über den Bau erzählt hatte, erinnerte sich
aber an das Leuchten in seinen Augen, als er seine Kinder immer
wieder verzückt auf kleine Details an den Säulen, der Kuppel und
der Balustrade hingewiesen hatte. Ein Kalenderblatt mit einem
Foto des Tempels hing bis heute über seinem Schreibtisch im
Arbeitszimmer.
Langsam
näherte sie sich dem Gebäude. Am unteren Rand der Kuppel stand in
großen Lettern «Frankfurter Verein für Feuerbestattung». Sie
stieg die wenigen Stufen hinauf und stand nun in dem von hohen Säulen
umgebenen Außengang. Sie umrundete das Gebäude und schaute dabei
immer wieder auf die umliegenden Gräber und in die von Bäumen
und Sträuchern umgebenen Wege, die von hier aus sternförmig in alle
Richtungen des Friedhofs führten. Außer einem älteren, bärtigen
Mann mit grauen, kurzrasierten Haaren und einer goldumrandeten Brille
war niemand zu sehen. Der Alte stand zwischen den Gräbern, hatte
eine grüne Gießkanne in der Hand und äugte gelegentlich zu Anna
hinüber. Als sie seinen Blick erwiderte, wandte er sich ab.
«Gehen
Sie rein. Ich warte», hatte auf dem zweiten Zettel gestanden, der
jetzt ebenfalls zusammengefaltet in der Tasche von Annas Jeans
steckte.
Die
große kupferbeschlagene Tür war geschlossen. Sie legte
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