Rosenmörder (German Edition)
Unwesentliches«, sagte er.
»Nichts, was Sie nicht langweilen würde.«
»Soll ich Ihnen sagen, was wesentlich ist, Herr Kollege?«, sagte
Schuster mit todernster Miene. »Dass Sie am Sonntag endlich heiraten werden,
‘zefixhalleluja.«
»Sie sind der Nachbar von Bürgermeister Engel? Und
beschweren sich seit Jahren über den Geräteschuppen, den er im Garten angebaut
hat? Weil der Ihnen am Nachmittag die Sonne wegnimmt?«
»Ja!«, sagte der Mann, der Chili im Präsidium gegenübersaß. Danach
sagte er nichts mehr.
»Warum reden Sie nicht weiter?«
Der pensionierte Berufsschullehrer war um die sechzig, hager, leicht
gebeugt, hatte zerzaustes weißes Haar, ein sonnenverbranntes Gesicht und helle,
ruhelose Augen. »Ja!«, sagte er noch einmal.
»Ich gehe davon aus, dass Sie nicht gemeinsam mit Herrn Engel zum
Jochbergkircherl aufgestiegen sind?«
»Des konnst laut sogn«, brummte der Mann. Dann schwieg er wieder.
»Am selben Tag, zur selben Zeit, mit demselben Ziel …«
»Na, na«, rührte er sich nun. »Wenn’s dasselbe Ziel gwesn wär, wär’s
ja des Kircherl gwen. Aber des Kircherl liegt auf einem eigenen Bergerl. Und i
bin unterhalb vom Kircherl den Weg nauf. I hab den Engel gar net gsehn.
Scho glei net im Kircherl.«
Irgendwie war Chili erleichtert. Warum sollte einer, dem der Nachbar
die Sonne wegnimmt, sich die Mühe machen und ihn in einer Bergkirche mit einer
Garrotte erwürgen? Aber sie mussten gnadenlos jede Spur verfolgen.
So auch die einer Künstlerin aus dem Ort. Einer Malerin. Ihr Mann
war Seilknüpfer. Sie wohnten in einem Haus am Ende einer Sackstraße. Der Garten
rings ums Haus war völlig vernachlässigt und wirkte mit seinem verdorrten
Dickicht wie Brachland. Ein braun-weißes Laufentenpaar watschelte durchs
Gestrüpp, gefolgt von sieben silbergrauen Halbwüchsigen.
»Und? Wo ist Ihr Hund?«, fragte Chili die beiden.
»Welcher Hund? Wir haben keinen Hund«, sagte der Mann. »Angela, hast
du erzählt, dass wir einen Hund haben?«
»Nicht nur erzählt.« Chili wandte sich an die Frau. »Sie haben in
Ihrer ersten Aussage sogar angegeben, dass Ihr Hund seit Einbruch der
Dunkelheit in der Nacht zum Mittwoch vermisst sei und Sie ihn dort oben gesucht
haben. Ausgerechnet zu der Zeit und an dem Ort, an dem der Bürgermeister
ermordet wurde.«
Die Malerin suchte nach einem Leck in der Dachrinne. Dann zupfte sie
an einem vertrockneten Himbeerstrauch herum.
Ihr Mann lachte laut. »Ja, mei«, sagte er, »die Angela wünscht sich
halt so sehr einen Hund. Da kann’s schon sein, dass sie einmal Wunsch mit
Wirklichkeit verwechselt.«
Traurig breitete Angela die Arme aus.
Das war der Alltag eines Kriminalisten. Fast schämte Chili sich
ihrer Vernehmungsergebnisse. Doch das war alles besser gewesen als ihr Zustand
wenige Tage später.
Chili
Ich bin mir nicht sicher, ob die
Polizeiarbeit effektiver wäre, würden wir intensiver vom neuesten Stand der
Technik profitieren. Digitale statt analoger Polizeifunktechnik beispielsweise.
Trotzdem habe ich den Eindruck, dass sich sehr vieles zum Positiven verändert
hat, seit ich im Polizeidienst bin. Die DNA -Methode, um nur einen Punkt herauszugreifen. Heutzutage wäre eine
Ermittlung ohne DNA undenkbar. Trotzdem: Was wir an Werkzeugen an der Hand haben,
haben die auch. Oder sind uns um mehrere Nasenlängen voraus. In der
Internet-Kriminalität zum Beispiel. Im Cyber-Crime. Wenn die Polizei dort ein
Loch gestopft hat, tun sich zwei neue auf. Einfach, weil wir dafür chronisch
unterbesetzt sind und die anderen sich spezialisiert haben.
Am ärmsten dran, finde ich, ist unsere Justiz.
Wie sehr würden wir uns von der Polizei eine schnellere Rechtsprechung
wünschen. Wenn heute ein Urteil gefällt wird, weiß der Täter nach der langen
Zeit oft schon gar nicht mehr, dass er die Tat begangen hat. Aber dieser
Zustand wundert mich auch nicht. Ich hab vor nicht langer Zeit zwei sogenannte
Schnuppertage bei unserem Staatsanwalt Goldner verbracht. Es ist der schiere
Wahnsinn, was dieser Mann an Akten auf dem Schreibtisch hat, was der an Anrufen
kriegt, was der begründet zu entscheiden hat.
Irgendwann, da bin ich mir fast sicher, wird das
Verbrechen die Welt überrollen. Irgendwann wird es mehr Kriminelle als Polizisten
geben. Vielleicht ist’s ja heute schon so, wir wissen selbst das nicht. Auf der
anderen Seite: Wenn’s keine kriminellen Handlungen gäbe – rechnen Sie sich
einmal aus, wer da alles arbeitslos würde. Nein, nicht nur die
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