Rosenmörder (German Edition)
Polizei.
Richter, Anwälte, Staatsanwälte, Justizangestellte. Ganze Abteilungen in
Ministerien müssten wegfallen. Sicherheits-, Wach- und Schlüsseldienste,
Tresorhersteller, Prostituierte, Gefängnisse, Personenschützer, Produzenten von
Alarmanlagen, Kriminalromanautoren … Verbrechen ist eine
Schlüsselindustrie. Wir sind vom Verbrechen abhängig wie ein gigantischer
Zulieferer von der Automobilindustrie. Allein in Deutschland setzt die
kriminelle Wirtschaft jährlich fünfhundert Milliarden Euro um, Tendenz
zunehmend. Zwanzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Stellen Sie sich vor, wie
dürftig es folglich in solchen Unternehmen aussähe, die bei der Wäsche des
kriminell erzielten Gelds behilflich sein können – Spielbanken,
Hotelketten, Supermärkte, Reinigungen, Wertpapierhändler, Gaststätten, Restaurants,
Ferienressorts.
Als ich die Ärztin mit dem üppigen Haar an meinem
Bett erkenne, komme ich gerade aus einem Traum empor. Aus dem Traum entspringt
auch meine Frage: Werde ich überleben? Ich habe das Gefühl, meine Stimme
zittert und ist dünn wie Spinnweben.
Die Frau in Weiß spitzt die Lippen, und ihr Blick
wird auf eine seltsame Weise ernst. Das liegt jetzt an Ihnen. Fast wären Sie
die dunkle Gasse hinuntergegangen, Frau Toledo. Niemand kommt von dort zurück.
Ich merke, wie mir langsam die Augen zufallen.
Ich bin müde. Ich bekomme nicht mit, wie die Ärztin sich wieder entfernt.
Vermutlich schließt sie leise die Tür hinter sich.
In bin in einen Halbschlaf gefallen. Doch mein
Geist arbeitet weiter.
Der Raum, in dem ich hier im Rosenheimer Klinikum
liege, stünde vermutlich leer, wenn nicht auf mich geschossen worden wäre.
Umsatzsteigerung am Klinikum durch ein Verbrechen.
Genug damit. Solche Gedanken rattern einem durchs
Gehirn, wenn man an konzentrierte Arbeit gewöhnt ist und von einer Sekunde auf
die andere nichts anderes im Kopf hat, als schnell wieder gesund werden zu
müssen.
Was das mit dem Lärm auf dem Flur auf sich hatte,
neulich, als Joe Ottakring mich besuchte? Ich hatte im ersten Augenblick auch
nicht daran gedacht, dass sie mein Zimmer natürlich abgeschirmt haben. Draußen
waren die türkischen Eltern von Kemal Hastemir – des ermordeten
Kollegen – mit einem Riesenblumenstrauß im Anmarsch, um mich zu besuchen.
Sie wurden von den beiden Kolleginnen vor der Tür abgewiesen. Nur Ärzte, Schwestern
und die Polizei hatten Zutritt, so war die Anordnung. Das verstanden Kemals
Eltern nicht, denn sie waren an ausufernde Gastfreundschaft gewöhnt. Ich musste
auch damals eingenickt sein.
Nein, Schwester, es tut nicht weh.
Das ist gut. Heute früh haben Sie noch über
Schmerzen geklagt. Wissen Sie, dass Sie über Schmerzen geklagt haben?
Ich blinzle. Vergesse zu antworten.
Eigentlich müssten Sie tot sein, wissen Sie.
Das unheimliche Kreisen vor meinen Augen lässt
nach, und ich erkenne die Schwester wieder. Sie ist ganz in Weiß, Jacke und
Hose, und ein Stethoskop hängt um ihren Hals. Ich betrachte sie lange und
aufmerksam.
Ihr ist sofort klar, was ich überlege.
Nein, ich bin nicht die Schwester. Ich bin die
Oberärztin.
Tot sein, sage ich.
Keine Sorge, Frau Toledo. Alles in Ihrem Körper
wird wieder zusammenwachsen und heilen, bis Sie wieder ganz sind.
Wie lange?
Das werden Sie selbst merken, wenn es so weit
ist.
Ich will noch einen anderen Gedanken in Worte
fassen. Doch die Ärztin hält die Hand hoch und verzieht den Mund zu einem
zaghaften Lächeln. Schluss jetzt mit der Anstrengung. Sie sprüht etwas Kaltes
an die Innenseite meines Unterarms und gibt mir eine Spritze. Nur zum Schlafen.
Keine dunkle Gasse mehr.
Ich erinnere mich wieder für einen kurzen
Augenblick. Wie durch einen Schleier sehe ich den Mann, der auf uns schoss. Er
trägt einen Trachtenanzug und eine Maske. Wie ein Geschützrohr ragt der
Schalldämpfer vor mir auf. Das erste Blop gilt Kemal, denn Kemal hatte sich
nicht abschrecken lassen und ging auf den Kerl los. Das Blop sitzt. Direkt im
Herzen aus einem Meter vierzig, hat man in der Rechtsmedizin festgestellt.
Eigenartig. Bisher hatte ich immer Glück gehabt. Ich war nie dabei gewesen,
wenn jemand erschossen wurde. Und nun wird auf der Hochzeit eines hochdekorierten
Kriminalrats ein Polizeifreund neben mir kaltgemacht, und mich hätte es auch
fast erwischt. Ein wahrhaft seltsames Gefühl, das andauert. Das nächste Blop
gilt nämlich mir, und noch ist nicht raus, ob es erfolgreich war.
Eine Gestalt in Tracht ist es gewesen mit
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