Rosenmörder (German Edition)
Dienstzimmer im Rosenheimer Präsidium eingenistet. Eine kleine
Besucherecke war alles an Komfort, eine riesige Landkreiskarte an der Wand der
einzige Schmuck.
Chili sprach, ohne sich umzudrehen. »Wo sollen wir anfangen?«
Das Treiben auf der zum Leben erwachenden Kaiserstraße da draußen
erinnerte sie an das Morgengrauen in ihrem Heimatdorf in der Nähe Flensburgs:
bleigrauer Himmel voller Wolken, bitterkalter Wind, ein gefrorenes, sumpfiges
Feld mit Eispfützen und reifüberzogenen Grasbüscheln. Dort hatte sie, als sie
selbst noch ein Kind war, ein totes Kind gefunden, halb eingegraben. Torsten,
ihr Vater, war an den Ermittlungen beteiligt gewesen.
Sie verdrängte ihre Flensburger Kindheit aus ihren Gedanken.
»Wo wir anfangen sollen? Darüber könnten wir einmal gründlich
nachdenken«, sinnierte Ottakring. »Aber dafür fehlt die Zeit.«
Chili fragte sich, ob er wirklich meinte, was er da sagte. Ihm
fehlte jeder Elan. Er sah aus wie sein eigener Schatten. Was war los mit ihm?
Sie hatte vom Tod seines Hundes gehört. Hatte ihn das allen Ernstes jeder Kraft
beraubt?
»Hatte Engel Feinde?«, fragte sie. »Wer profitiert von seinem Tod?
Das Übliche halt.«
»Es wäre schön, wenn du dich um diese beiden Fragen kümmern
würdest«, sagte Ottakring und schob die Schublade mit einem Schuh zu. »Du und
ich, wir sind die SoKo. Vielleicht nehmen wir Bruni noch dazu. Alles andere
werden wir delegieren.«
Hundegebell ertönte. Sie schloss das Fenster. Das Gebell war immer
noch da. Es kam vom Flur. Fünf Sekunden später klopfte es, fast gleichzeitig
flog die Tür auf. Zuerst kam ein schwarzer Mops zum Vorschein. Ihm folgte, an
der Leine, Dr. Adamina Tordarroch.
Chili fiel auf, dass eine leichte Röte ihr Gesicht überzog, als ihr
Blick Ottakring traf. Sie blickte vom einen zum anderen. Der Kriminalrat wirkte
betreten. War da was zwischen denen? Sie verwarf den Gedanken sofort wieder.
Generell würde sie’s Ottakring schon zutrauen, aber doch wohl nicht in der
Woche vor seiner Hochzeit.
»Natürlich wird Wildschitz Bürgermeister werden, wenn der
andere tot ist. Deshalb ist er ja bisher sein Stellvertreter gewesen.« Felix
Iljitsch Gubkin lächelte und wirkte selbstzufrieden.
Doch dann schnappte er den Blick auf, mit dem Nadeschda ihn kritisch
musterte. Sie meinte wieder einmal zu ahnen, wer hinter Engels Tod steckte, und
sie missbilligte es. Nicht zum ersten Mal dachte er, dass seine geliebte Frau
besser zur Zeit der Suffragetten gelebt hätte, die zu Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts für das Wahlrecht und die Emanzipation der Frau gekämpft hatten.
Wohlwollend strich sein Auge über ihren in edles Material gehüllten Körper.
Der Ausdruck in den Gesichtern freilich, mit dem Kosmos und seine
Nadjuscha sich umfingen, gab ihm Rätsel auf. Ihm schien, es war eine Mischung
aus Schmerz und Begehren.
Gubkin fackelte nicht lange. Er trat nahe an seine Frau heran, so
nahe, dass sie den Hauch seines Atems auf ihren gesenkten Lidern fühlen konnte.
Ein Zittern durchfuhr sie, und sie seufzte. Er neigte sich zu ihr und presste
seine Zähne so fest in ihre Schulter, dass sie aufschrie. Während er sich für
Sekunden wie ein Tier in ihr nacktes Fleisch verbiss, ruhte sein Blick auf
Kosmos. Ihm fiel auf, wie sein Leutnant ihn beobachtete, ja fixierte. Es war
ein sehr persönlicher Blick. Und er bewies nur Furchtlosigkeit. Keinen Hass.
Ein langer Augenblick des Schweigens trat ein. Niemand bewegte sich,
bis Nadeschda ein glockenhelles Lachen von sich gab. Sie schüttelte Gubkin ab
und stellte sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihn hin.
»Na, jetzt hast du ja freie Bahn für dein Vorhaben«, sagte sie. Die
Bissabdrücke in ihrer nackten Schulter glühten.
Dr. Adamina Tordarroch besaß ein markantes Gesicht, das
sie von ihrem Vater ererbt hatte und das von Charakterstärke zeugte. Sie hätte
genauso gut eine blendend aussehende oberbayerische Almbäuerin abgeben können.
Ihre Augen waren von einem tiefen, scharfen Blau, ein fächerförmiges Netz von
Fältchen an den Augenwinkeln ließ ihren Humor erahnen.
»Wir haben Glück«, sagte sie. »Die Manipulation an Herrn Engels
Achselhöhle ist erst nach seinem klinischen Tod vorgenommen worden. Aber er ist
sakrisch unschön gestorben. Mit einem dünnen Draht erdrosselt zu werden ist
leidvoller als Erhängen am dicken Strick. Oder als Ersaufen im Meer. Neben dem
bereits Bekannten hab ich lediglich kräftige Daumenabdrücke hinter den Ohren
gefunden.«
»Um
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