Rosenmörder (German Edition)
ihr wisst schon, Verkehrsdelikte, Unfälle,
falsch geparkt. – Wann ich das brauche? Blöde Frage. Sofort. Saublöde
Frage.«
Am Abend, als Lola die Moderation ihrer früheren Kollegin
im Dritten Programm verfolgte, hatte Ottakring eine Vision. Das Gesicht des
Kerls war nur noch blutiges Fleisch. Schwellungen aus blauschwarzer Haut
wölbten sich über die Augen. Die Lippen waren aufgeplatzt und zu dicken Wülsten
angeschwollen. Ein Ohr hing lose herab, Rinnsale aus Blut schlängelten sich
langsam durch Bartstoppeln über das Kinn und tropften auf das fleckige Hemd.
Die Augen des Mannes, soweit es ihnen möglich war, hefteten sich matt und
verständnislos auf Ottakrings Fäuste.
Auch er schwitzte. Prügeln macht warm. Mit seiner Riesenpranke fuhr
er noch tiefer in den ungepolsterten Lederhandschuh und holte zum x-ten Mal
aus. Das satte Geräusch am Kinn des Kerls klang angenehm – für Ottakring.
Dass der Empfänger das Geräusch überhaupt mitkriegte, bezweifelte er. Die Wucht
des Schlags warf den Gegner um. Sein Stuhl, an den er gefesselt war, kippte
nach hinten, und sein Kopf krachte wie ein reifer Kürbis auf den Betonboden.
Ottakring stemmte die blutverschmierten Pranken in die Hüften und
starrte, immer noch wütend, auf die entstellte menschliche Kreatur zu seinen
Füßen. Er setzte einen Fuß auf den kaputten Körper und schrie: »Du parkst
künftig woanders!«
»Schaff ihn raus!«, befahl er Lola, »und mach ihn sauber. Dann
bringst du mir seinen Sohn.«
Unvorstellbar, dass Lola dabei jemals mitmachen oder tatenlos
zusehen würde. Kaum glaublich auch, dass er selbst sich zu so einer Tat hinreißen
ließe. Oder doch? In diesem Zwiespalt wachte er aus dem Tagtraum auf und kehrte
in die Realität zurück.
Er ging hin zu Lola, legte den Arm um sie und biss sie liebevoll ins
Ohr.
»Schön, dass wir endlich heiraten«, sagte er. »Jetzt, wo wir in
diesem schönen Haus sind.«
Für kommenden Sonntag war die Hochzeit angesetzt. Lola hatte ihren
Joe immer schon heiraten wollen, doch er fand jahrelang unentwegt neue
Ausreden. »Notlügen«, so nannte er sie. Bis er im letzten Winter antrollte und
auf seine Art um ihre Hand anhielt: in Handschellen.
Dass kurz nach ihrem Jawort ein Onkel Lolas starb und ihr dieses
Chiemgauer Haus im romantischen Aschbach hinterließ, nahmen sie als
bestätigendes Gottesurteil hin. In Aschbach duckten sich Bauernhäuser und
Landhausvillen, Geschäftshäuser und Gasthöfe in den Schatten der steil
aufragenden Kampenwand. Die Sonne spiegelte sich in der barocken Zwiebel des
Kirchturms und umspann die Kirche mit Goldfolie wie ein Geschenk. Lola gab ihre
Schwabinger Wohnung auf, Ottakring seine in der Papinstraße in Rosenheim, und
sie bezogen das neue Haus. Wenig später war Lolas scheußliche Augeninfektion
aufs Neue ausgebrochen.
»Wir lassen uns nicht unterkriegen«, sagte Lola, drückte den
Fernseher aus und sah ihn zärtlich an. »Ja, ich freu mich auch sehr auf
Sonntag. Komm, gehen wir.«
»Ins Bett?«, fragte Ottakring.
»Nein. Vorher mit Herrn Huber raus.«
VIER
Hunde hatten keinen Zutritt zur Residenz Heinz Winslet in
Aschbach. Jedenfalls nicht zum Gartensalon, in den Nadeschda Gubkinowa an
diesem Abend geladen hatte. Jede Menge Prominente trippelten über den roten
Teppich in die Halle.
Veronica Ferres zupfte ihr Dekolleté zurecht. Sie war ohne ihren
millionenschweren Partner erschienen. Die Klitschko-Brüder ließen die
Gesichtsmuskeln spielen und grinsten um die Wette. Maximilian Brückner, der
Shootingstar der einheimischen Schauspielkunst, erschien mit seiner Tuba,
Friedrich Federkiel jazzte auf der Gitarre, und Gabriele Bauer, die Rosenheimer
Oberbürgermeisterin, wirkte etwas abwesend. Sie sann wohl darüber nach, ob sie
den angebotenen Ministerposten im bayerischen Kabinett annehmen solle oder
nicht. Klatschreporter aus der ganzen Republik traten sich halb tot. Große
Kulisse für einen guten Zweck: Klasse 2000, ein regionales Programm des Lions Clubs
Rosenheim zur Gesundheitsförderung und Suchtvorbeugung im Grundschulalter, war
das beherrschende Thema. Ihm hatte Nadeschda sich gewidmet. Mit Charme und
Chuzpe verstand sie es, eine Menge Geld zu sammeln. Diese Form der
Wohltätigkeit hatte mit herkömmlichen Haustürsammlungen, Feuerwehrbällen,
Spendenaufrufen ungefähr so viel gemein wie ein Showroom von BMW mit dem Rosenheimer Busbahnhof.
»… und danken wir Frau Gubkin für ihre Initiative, die
Organisation und die selbstlose Unterstützung.«
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