Rosenpsychosen
trug eine überdimensionierte Sonnenbrille von Dior, die Marie ausrangiert hatte, weil ihr der goldene Schriftzug doch zu golden gewesen war. In dem Bozener Geschäft hatte er dezent gewirkt, vielleicht weil die Italienerinnen um sie herum vor lauter glänzenden Schriftzügennicht mehr zu erkennen gewesen waren – auch ein Grund, weshalb man nur in der Stadt einkaufen sollte, in der man lebte. Marie hatte einen ganzen Kleiderschrank voll mit bunten italienischen Pelzwesten und Accessoires, die sie nur in Italien tragen konnte. In Berlin musste man schon einen starken russischen Akzent pflegen, um damit durchzukommen, weshalb das meiste von dem Krempel jetzt Pasis Verkleidungsdrang zur Verfügung stand. »Hey, ihr da unten, setzt mal eure Hüte wieder auf, ihr seid knallrot!«, rief Marie ebenso mechanisch wie vergebens.
Pasi würde in diesem Sommer nicht zu ihrem Vater gehen. Der Hunsrück hatte wegen Dummheit geschlossen. Es würde kein Flugzeug geben, das in Richtung Westen flog und Scheidungskinder zu ihren Vätern brachte. Vor drei Monaten hatten sie noch miteinander gesprochen, kühl zwar, aber immerhin gesprochen. Er hatte ihr erzählt, dass die Leber nun doch befallen sei. Er komme da durch, in Amerika gebe es neues Zeug, das hier noch nicht zugelassen sei. Dreitausend Dollar monatlich, aber das leiste er sich. Ja, hatte Marie da gedacht, leiste dir das. Hast dir nie etwas geleistet außer mir, und mich konntest du dir nicht leisten, weil du nur Geld und Flugzeuge zu bieten hattest. Einmal noch war Pasi nach dem letzten vernünftigen Gespräch für eine Woche bei ihm gewesen, inklusive seiner neuen Frau und drei neuen Kindern. Sie war zurückgekommen, hatte sich heulend in Omas Arme geworfen und sie gefragt, ob es stimme, dass Mama schuld an Papas Krankheit sei. Ja, wahrlich ein All-inclusive-Urlaub für ein Kind!
Als Marie das zugetragen worden war, hatte sie im Hunsrück angerufen und erfahren, es sei nur richtig und notwendig, dass Pasi erfasse, wer die Urheberin des ganzen Unglückes war. Die Stimmen waren laut gewesen, schrill, die Sprache fremd, immer noch. Eine Woche lang hatte Marievor Wut und Ohnmacht nicht gesprochen. Bis das mächtige Gewitter gekommen war und Marie beschlossen hatte, mit Aspasia die längst überfällige Unterhaltung zu führen.
Pasi hatte nur geweint und sich endlich Luft gemacht. Seit Jahren fürchtete sie sich vor der neuen Frau, die sie voller Hass und Eifersucht schamlos anbrüllte. Pasi hatte, wenn sie dort gewesen war, nachts im Bett geweint – das alles kam jetzt heraus –, und Adam, Papa, hatte aus Furcht vor der Frau immer klein beigegeben. Nun, nach dem klärenden Gespräch, in dessen Verlauf es Marie schwergefallen war, nicht ebenso wie das Kind steinerweichend zu schluchzen, war Pasi sicher befreit. Sie musste nicht mehr dorthin.
Wenn Marie das alles doch nur früher gewusst hätte! Warum hatte sie es eigentlich nicht geahnt? Hatte sie es am Ende gespürt, es nur vor lauter schlechtem Gewissen nicht wahrhaben wollen, dass Pasi dort litt? Und, dachte Marie, Pasi, meine Güte, warum hat sie nichts gesagt? Ja, wie soll denn ein Kind zwischen den Stühlen etwas sagen … Nein, Marie hätte es wissen müssen. Aber nun war es heraus. Beiderseitig ausgekotzt. Keiner musste sich mehr die Zunge blutig beißen. Die ganze Nacht hatte sie neben Pasi gelegen und ihr, gerührt und fassungslos angesichts solch unnötiger Stärke, den Kopf gestreichelt.
Als Marie später versucht hatte, mit Adam die Nöte seines Kindes zu besprechen und einen Weg zu finden, mit dem alle leben konnten, hatte er den Hunsrück für abgebrannt erklärt. Beleidigt hatte er mitgeteilt, Pasi könne ihn mal. Bittere Funkstille seitdem. Weihnachten, Geburtstag, Ostern – verraten und verkauft an verletzte Eitelkeiten. Ja, nun ist es frei, das Kind, dachte Marie. Pasi kann jetzt frei ihrer Illusion nachhängen. Was für eine beschissene Freiheit, wenn man da, wo einen die Sehnsucht hinträgt, nicht gewollt wird.
Pasi hatte sich inzwischen auf den Bauch gedreht undblubberte in das Plantschbecken. Die Dior-Brille lag im Gras. Ein beleidigter Mann ist kein Mann, dachte Marie. Sie überlegte, ob sie eigentlich irgendwelche Körbe im Keller hatten.
»Warst du schon mal auf dem Markt?«, fragte sie Martin, der zwei eisige, vielversprechende Caipirinhas brachte, für sich einen ohne Strohhalm, für sie einen mit zwei. Martin sah sie an, als sei sie debil. Er setzte sich zu ihr auf die Treppe und nahm einen
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