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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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Theater.«
    »Sie kennen sich ja aus.«
    »Besser, als Sie vermuten. Lassen Sie sich fallen. Sie dürfen. – Erzählen Sie mir etwas von ihm.«
    »Von Ihrem Bruder?«
    »Nein. – Wie ist er eigentlich gestorben?«
    »Sie haben sich die Beine rasiert.«
    »Ja.«
    »Wieso das denn?«
    »Weil ich in den Sommerferien wohin reise, wo man rasierte Beine hat.«
    »Sommerferien sind aber noch zwei Wochen hin.«
    »Ich wollte testen, wie ich auf eine Beinrasur reagiere. Aber lassen Sie uns wieder …«
    »Haben Sie sie tatsächlich rasiert – nicht epiliert oder gewachst?«
    »Rasiert. Ich hatte noch einen Rasierer von meinem geschiedenen Mann zu Hause. Aber …«
    »Wie lange sind Sie denn in Hollywood?«
    »Eventuell fünf Wochen.«
    »Dann gehen Sie zu ›Lass waxxen‹, Lindenstraße. Hält länger und hat den Vorteil, dass Sie gleich alles Mögliche mit wegwachsen lassen können. Ihre Achselhaare zum Beispiel. Weiß ja nicht, was Sie vorhaben. Sieht mir aber nach verschwitzten Laken aus. Bestellen Sie einen schönen Gruß von mir, dann kostet es weniger. Und fragen Sie auf jeden Fall nach Mandy, die ist grob und doof, aber schnell. Manchmal ist über Nacht aus dem A auch ein I geworden, aber dann gehen Sie einfach trotzdem rein, die machen vormittags immer wieder ein A draus.«
    »Tut das nicht furchtbar weh?«
    »Ist die Hölle, sag ich Ihnen. Aber Sie gehen da ja auch nicht zu Ihrem Vergnügen hin. Singen Sie einfach im Geiste ein Lied. Ich summe immer ›Wir sind die Moorsoldaten‹, und wenn es ganz schlimm wird, den Hummelflug von Rimskij-Korsakov. Ihnen empfehle ich ›Maria, breit den Mantel aus‹. Kennen Sie ja bestimmt aus Ihrem Kirchenchor.«
    »Naja. Ich denke darüber nach. – Wir waren bei Ihrem Vater.«
    »Naja? Sie haben noch nie ›naja‹ gesagt. Bisher haben Sie Ihre Sätze immer ohne Füllwörter begonnen und leidlich redegewandt zu Ende gebracht. Aber bei dem ›naja‹ eben war Ihre Stimme nicht so fest wie sonst. Sind Sie unsicher? Wussten Sie nicht, wo Sie hinschauen sollen angesichts eines so intimen Themas wie Beinrasur? Wie fühlen Sie sich? SindSie etwa traurig? Huh! Wo ist Ihre Sicherheit hin? Hollywood ist ein ganz unsicheres Pflaster, das sage ich Ihnen. Aber wenn Sie in Ihrem braunen langen Kleid nach Hollywood gehen und Ihre Haare an den Achseln lassen und immer schön ein Kirchenlied summen, dann wird Sie schon niemand vergewaltigen. Ich hatte damals ein flatteriges Strandkleidchen an und keine Achselhaare. Gesummt habe ich wahrscheinlich ›Satisfaction‹ von den Rolling Stones, falls Sie von dieser Band schon mal was gehört haben. Wissen Sie was – es ist mir so was von egal, wie Ihre muffigen Achseln aussehen! Erst wollten Sie mich wegempfehlen, und jetzt haben Sie sich von mir blenden lassen.«
    »Wie ist er gestorben?«
    »Blenden lassen von Lippenstift und glatten Beinen. Erfühlen Sie sich selbst doch mal. Und übrigens: ›Erfühlen‹ ist ja wohl das blödeste Wort, das ich je gehört habe. Geben Sie doch zu, dass eine Stimmung in diesem Raum herrscht, die gar nicht in Ihr Konzept passt!«
    »Setzen Sie sich wieder hin. Gut. – Wie – ist – er – gestorben?«
    »Wer?«
    »Hören Sie auf zu lachen.«
    »Er fiel einfach bei uns zu Hause um. Herzinfarkt. So, bittesehr.«
    »Wo war Ihre Mutter?«
    »Zu Hause. Wir waren alle zu Hause.« Marie sah auf den Boden, bemühte sich, auszuweichen, vermochte es aber nicht mehr. »Meine Mutter hat versucht, ihn zu reanimieren. Sie hat mal bis zum Physikum Medizin studiert, hat wohl nicht gereicht. Jedenfalls hat’s nicht geklappt.«
    »Wo waren Sie und Ihre Geschwister?«
    »Zu Hause.«
    »Und wo da?«
    »Wir standen alle dämlich drum herum, würde ich sagen. Ich war dann irgendwann auf dem Arm der Nachbarin, glaube ich.«
    »Glauben Sie?«
    »Weiß ich.«
    »Und Ihre Geschwister?«
    »Keine Ahnung. – Doch. Mit meinem Bruder habe ich noch aus dem Fenster gesehen, als der Notarzt kam. Wir fanden das spannend. Mein Bruder war ja auch noch klein, erst acht. Es war so dunkel, und der Krankenwagen nahm sich, na ja … abenteuerlich aus. Toll war das, wie im Fernsehen. Dann wurde ich ins Bett gebracht.«
    »Haben Sie geschlafen?«
    »Was glauben Sie? Habe ich geschlafen?«
    »Haben Sie?«
    »Nein. Ich habe ein Bild gemalt. Ein sauberes Krankenbett, in dem ein dicker Mann mit Glatze lag, Krankenschwestern, eine dicke Spritze und ein rotes Kreuz. Darüber schrieb ich die Anordnung, der Mann möge schnell wieder gesund werden,

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