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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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mit Ihnen gemeinsam daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen und aufzuspüren, warum Sie sich wie fühlen.«
    »Ach, jetzt wieder diese Leier. Gemeinsam herausfindenund so. Bisher haben Sie nichts herausgefunden, wenn man mal von der herausragenden Entdeckung absieht, dass es gut für mich wäre, zum Einschlafen ekligen Tee vom Markt zu trinken. Und dass ich beim Friseur war. Toll! Außerdem war ich gar nicht beim Friseur. Ich habe einfach über Nacht meine Naturhaarfarbe zurückerlangt. Bin aufgewacht, und da war sie. Peng! Und jetzt sagen Sie nicht, meine Haare sähen irgendwie gefärbt aus! Ihre sehen nämlich gefärbt aus. Sie haben vergessen, Ihre Augenbrauen im gleichen Ton färben zu lassen. Ihre Augenbrauen sind schon ein bisschen grau, und deswegen sieht Ihnen ein Blinder mit Krückstock diese Färbung in Nullkommanichts an. Und ich weiß überhaupt nicht, was ich davon halten soll, dass plötzlich meine Haare nicht mehr blond und lang sind, sondern aschockersilberbraun und schulterlang. Ich trage auch keine dicken Ketten mehr. Wenn ich eine dicke Kette anlege, dann stört sie mich plötzlich, und dicke Ketten haben mich nie gestört. Aber in letzter Zeit fühle ich mich unwohl damit und reiße sie mir wieder vom Hals. Roten Lippenstift benutze ich auch nicht mehr. Gestern Abend hätte ich sogar beinahe Tee statt Wein getrunken, ja! Mit anderen Worten: Ich sehe bald aus wie Sie, wenn ich nicht aufpasse. Das waren alles Sie! Sie wollen mir irgendetwas einbrocken. Ich habe keine Ahnung, was, aber bestimmt nichts Gutes. Ich glaube, Sie wollen aus mir einen besseren Menschen machen oder so ’n Quatsch. Das ist aber gar nicht nötig. Ich bin nämlich schon ein besserer Mensch. Was ich brauche, ist die Gewissheit, mich in den nächsten vierzehn Tagen nicht achtundzwanzigmal umbringen zu wollen. Ich will diese Angst loswerden, und ich will nicht mehr sterben wollen. Das will ich – und keine schleimigen Frisurenkomplimente, ja! Auch nicht, dass Sie meine Mutter in Einzelteile zerlegen. Wissen Sie, letzte Woche, da hat sich das irgendwie gut angefühlt. Jedenfalls erst einmal.Aber dann ist mir wieder klar geworden, dass man sich erst recht um den Verstand bringen kann, wenn man immer über alles quatscht. Jetzt habe ich das Gefühl, alles wird nur noch schlimmer durch Sie! Ich bin ich, und das bleibt auch so.«
    »Das genau ist mein Interesse: dass Sie Sie sind und niemand sonst.«
    »Da haben Sie ja fein pariert, war ja auch nicht so schwer. Sie lassen sich schön die Sätze von mir in den Mund legen, machen einfach aus dem, was ich sage, eine Frage und warten dann die Antwort ab. Sehr schlau! – Was ist? Warum stehen Sie auf?«
    »Weil Sie aufgestanden sind und ich es für angebracht halte, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen, und zwar im doppelten Sinne.«
    »Und nun? Nun stehen wir. Herr Müller-Lüdenscheid, die Ente bleibt. Oder was jetzt?«
    »Wir setzen uns wieder.«
    »Sie zuerst.«
    »Gut. Jetzt atmen Sie mal lang aus – ja.«
    ---
    »Haben Sie keine Lust mehr zu leben?«
    »Keine Lust mehr zu leben? Mehr? Ich hatte noch nie Lust dazu. Alles, was ich will, ist Ruhe. Jede Nacht denke ich, wenn ich jetzt einschliefe und nicht wieder aufwachte – das wäre schön, erlösend. Endlich Schluss.«
    »Schluss womit?«
    »Schluss mit lustig. Schluss mit aufstehen, mit Angst, mit Reue, mit Sklaverei, mit Sex, mit Dummheit, mit schwachsinnigen Konventionen, mit Nazis, mit Hass, mit Rechtfertigungen, mit Sehnsucht, mit Saufen, mit …«
    »Sehnsucht?«
    »Wieso Sehnsucht? Das haben Sie gesagt.«
    »Nein, Sie haben gerade von Sehnsucht gesprochen. Sehnsucht – wonach?«
    »Phhh.«
    »Wer ruft Sie?«
    »Das sage ich Ihnen nicht.«
    »Ruft Sie Ihr Vater?«
    »Sage ich nicht.«
    »Haben Sie solche Sehnsucht nach ihm, dass Sie sterben wollen, weil Sie glauben, ihm dann zu begegnen?«
    ---
    »Er ist die Sicherheit, zu der es hier keine Alternative gibt, nicht wahr? Nur sechs Jahre lang hat er Sie begleitet, Sie auf seinen breiten Schultern getragen. Ihr mächtiger, charismatischer und sonst so disziplinierter Vater hat sein großes Versprechen nicht gehalten. Das haben Sie geschrieben.«
    »Wie kommen Sie darauf, dass er diszipliniert war? Das habe ich nicht geschrieben. Ich würde nie so eine Seife schreiben.«
    »Zwischen den Zeilen steht auch so einiges. Das Interessanteste steht zwischen den Zeilen. – Theaterschauspieler müssen diszipliniert sein, das kenne ich. Mein Bruder ist Schauspieler am

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