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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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Mädchen schon, gerade mal in der Pubertät angekommen. Das ist Ihnen nicht gut bekommen, denn es entsprach zwar Ihrer Natur, war aber gewiss nicht natürlich. Und nun ruft er sie. Laut, immer lauter, je länger Sie ihn suchen. Sie wollen Ruhe, Sicherheit, Gelassenheit, wie früher als Kind. Sie wissen: Er würde nicht an Ihnen zerren. Nur bei ihm wären Sie ohne schlechtes Gewissen in der Lage, nicht brav das zu machen, was er, der Mann, sagt. Nur er würde immer wieder eine Mark aus der Tasche zaubern und Sie eine Runde drehen lassen – ganz ohne Bedingungen.«
    »Ist das traurig oder albern?«
    »Es ist traurig.«
    »Es ist albern. Ich bin erwachsen. Und der Tod gehört doch zum Leben. Sollte man nicht in der Lage sein, sich mit ihm zu arrangieren?«
    »Man kann sich mit dem Tod arrangieren. Wenn er kommt, wie es sich gehört. Wissen Sie: Als meine Mutter starb, war sie alt und krank. Wochenlang konnte ich an ihrem Bett sitzen und mich darauf vorbereiten, dass sie mich bald verlässt. Wir konnten reden, und wir wussten Bescheid. Ich bin versöhnt mit dem Tod meiner Mutter. Sie hat ihr Versprechen gehalten. Sie hat mich groß gezogen, mich sanft in meine eigene Welt geschubst und mich dann noch lange aus der Distanz begleitet. Wenn ich an sie denke, dann mit Freude. Ich habe ihre handgeschriebene Rezeptesammlung und liebe es, daraus zu kochen. Dabei denke ich an sie und mussimmer lachen. Ich habe mich mit dem Tod arrangiert. Aber Sie – Sie wussten nicht Bescheid. Sie konnten nicht reden, sich nicht darauf einstellen und wurden auch nicht sachte auf ein autarkes Leben vorbereitet. Stattdessen sind Sie mit sechs Jahren in ein fast zugefrorenes Meer gestoßen worden, aus dem auch Ihre Mutter Sie nicht herausziehen konnte. Sie wollten das gar nicht – aus Angst, auch dieser letzte Weg zurück bliebe Ihnen damit versperrt. Und doch versuchen Sie seit mehr als dreißig Jahren vergeblich, dieser Kälte wieder zu entfliehen. Das ist auch der Grund, aus dem Sie so alterslos erscheinen. Ich sehe Ihre Falten um die Augen herum, Sie haben zwei Kinder, sind zum zweiten Mal verheiratet, und wahrscheinlich haben auch Sie unter Ihrem Aschockersilberbraun schon ein graues Haar. Aber wenn ich Sie ansehe, dann sehe ich ein Mädchen.«
    »Ach.«
    »Sie frieren und sind ängstlich.«
    »Na und. Ist doch alles affig.«
    »Am stärksten hemmen Sie aber Ihre Schuldgefühle. Sie glauben, kein Recht zu haben, jemanden zu verlassen, dem Sie einmal ein Versprechen gegeben haben. Sie tun es zwar trotzdem, aber das Recht dazu nehmen Sie nicht für sich in Anspruch. Und Sie entwickeln eine derartige Angst, verlassen zu werden, dass Sie immer weitersuchen – nach demjenigen, der Sie niemals verlässt. Aber wenn Sie ihn gefunden haben, dann verlassen Sie ihn wieder. Das, was Ihnen Adam und seine neue Frau sagen – dass Sie schuld an seiner Krankheit sind, dass Sie kein Recht hatten, ihn zu verlassen und ihm das Herz zu brechen –, trifft bei Ihnen auf offene Ohren. Und wie! Die beiden haben mit Ihnen als Exfrau praktisch den Hauptgewinn gezogen. Denn Sie haben sich schließlich immer verhalten, als seien Sie schuldig – dessen bin ich mir sicher –, und Sie tun es noch. Wenn Sie vergewaltigt werden,dann glauben Sie, schuld daran zu sein und es nicht besser verdient zu haben. Wenn Sie sich ausnutzen und verletzen lassen, denken Sie, es sei Ihre eigene Entscheidung – Ihre Schuld.«
    »Wollen Sie damit sagen, ich sei die Unschuld vom Lande?«
    »Ganz sicher nicht. Wir wollen die Kirche im Dorf lassen. Sie mögen ja, wie man so sagt, ein Biest sein. Aber Sie sind nicht so schuldig, dass Sie verhungern und abtauchen müssen. Sich zu trennen, die Gefühle anderer zu verletzen, die Liebe – und auch, dass sie wieder geht – gehören zum normalen Leben eines Erwachsenen. Niemand macht sich schuldig, weil er einem anderen Menschen, ohne es zu wollen, das Herz bricht, obwohl er mal unter Zeugen versprochen hat, ihn immer zu lieben. Dieses Versprechen ist Makulatur. Sie hatten als Kind ein Recht darauf, noch eine und noch eine Runde um diesen Park zu drehen. Und Sie haben als Frau das Recht, Ihren Mann zu verlassen. So wie Sie das Recht – sogar die Pflicht – haben, Gefühle nicht zu heucheln. Aus Heuchelei, aus Unwahrheiten entstehen Ängste.«
    »Und nun?«
    »Nun lassen wir das mal so stehen. Wir haben weit überzogen und müssen zum Ende kommen. – Das war gut heute, Sie waren gut.« Helene holte tief Luft. »Hören Sie zu. Ich möchte,

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