Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
Vom Netzwerk:
›gesund‹ mit t und ›schnell‹ mit h. Hat meine Mutter mir mal erzählt. Ich scheine einiges nicht ganz gecheckt zu haben.«
    »Was geschah mit dem Bild?«
    »Ach, übrigens, ›Lass Waxxen‹ hat donnerstags bis 22 Uhr geöffnet. Praktisch, oder?«
    »Was geschah mit dem Bild?«
    »Tja. Einen Preis habe ich nicht dafür bekommen.« Kein Ausweichmanöver wollte mehr glücken. »Am nächsten Tag stand ein glänzender dunkelgrauer Wagen vor der Tür, der große Pietät ausstrahlte. Der Mann … wurde in eine schmucke, saubere Kiste gelegt und war halsabwärts mit einem sauberen weißen Tuch bedeckt. Das war so weiß und sauber. Alles so sauber … In der Weißer-Riese-Werbung haben dieihre Tücher nie so weiß hinbekommen. Wahnsinnig weiß. Darauf lagen eine rote Rose und mein Bild. Dann ging die Kiste zu.«
    »Und dann?«
    »Wie – was dann? Ja, was wohl dann?«
    »Und dann?«
    »Na ja – ist alles verbrannt. Pschschsch…«
    »Welches Bild von Ihrem Vater ist Ihnen am meisten präsent?«
    »Ach, was soll das …? Müssen wir das …? Sind doch meine Bilder.«
    »Es bleiben auch Ihre. Erzählen Sie mir von einem Bild.«
    »… wie ich mit ihm zusammen im Park war und eine Runde nach der anderen auf diesem riesigen Pferd um den ganzen Park reiten durfte. Eine Runde kostete eine Mark. Nach jeder Runde stand er verlässlich da und erwartete mich. Er trug eine Schiebermütze aus Cord, die ich noch zu Hause habe, und eine Cordhose, in die ein kleines Auto hineingepasst hätte. Cord, ein komischer Stoff. Er winkte mir zu, tat nach jeder Runde so erfreut, als habe er mich wochenlang nicht gesehen, und sagte, nun sei aber Schluss. Ich bettelte, was das Zeug hielt – und immer zauberte er eine weitere Mark aus der Hosentasche und gab sie lachend der Pferdeführerin. Immer und immer wieder, bis es langsam dämmerte. Dann ging ich an seiner Hand nach Hause und bekam unterwegs noch ein Eis, das größer war als ich. Das war Glück, glaube ich … Ganz schön kitschig … Und er erzählte mit seiner klaren Stimme gerne etwas von Insekten. Von ganz erstaunlichen Insekten. Das war seine zweite Leidenschaft. Erst die Kunst, dann die Zoologie – womöglich als Ausgleich. Diese Ordnung in der Tierwelt gefiel ihm. Ich glaube, ich war nie mehr so glücklich … und so … sicher. Er war so inkonsequent, wissen Sie. Die heutigen Erziehungswissenschaftler würdenihn einsperren wegen völliger Untauglichkeit zu pädagogisch wertvollen Maßnahmen. Total untauglich …«
    »Wie ging das Leben weiter?«
    »Meine Mutter beharrt darauf, dass es immer zwei Möglichkeiten im Leben gibt. Man kann aus dem Fenster springen oder aber sich darüber freuen, dass die Sonne scheint. Jaja, die Sonne. Sie hat die Zähne zusammengebissen und geweint, wenn die Sonne schien, aber gesprungen ist sie nicht. Wie es mit uns weiterging? Ich weiß es nicht. Ging es weiter? Nur eines weiß ich noch: Wochen, nachdem er nicht mehr wiederkam, habe ich meiner Mutter gesagt, ich würde, wenn er doch wiederkäme, immer brav das machen, was er sagt. Zum Beispiel nicht um noch eine Runde betteln, wenn er sagt, jetzt ist Schluss.«
    »Ein gutes Bild.«
    ---
    »Sie haben ihn überstrapaziert. Gewaltig, sozusagen mächtig theatralisch hat er sich aus dem Staub gemacht, gerade einmal dreiundvierzig. Er hat es nicht mehr ausgehalten, und deswegen ist er gestorben – abrupt, ohne vorher Bescheid zu sagen. Er hat Sie einfach daneben stehen lassen, keine Hilfe, keine Umkehr mehr gebilligt. Das ist Ihr Gefühl. Das fühlen kleine Kinder: sich schuldig und gleichzeitig verraten. Er hat Ihnen keine Chance gegeben, noch irgendetwas für ihn zu tun, ihm noch etwas zu sagen. Und er hat Ihnen nichts zum Abschied gesagt, Ihnen nichts mit auf den Weg gegeben. Verraten, verlassen, schuldig. Das Gefühl vergeht nicht so einfach. – Zum ersten Mal sehe ich jetzt bei Ihnen, dass Sie ganz bei sich sind, dass Sie ein Gefühl zulassen. Lassen Sie es laufen, es ist gut.«
    ---
    »Sie wollten alles wiedergutmachen. Da Sie das an der realen Person Ihres Vaters nicht mehr können, machen Sie esan etlichen anderen wieder gut. Und zwar schon viel, viel zu lange. Immer brav das tun, was ER sagt. Hauptsache, er lässt Sie nicht plötzlich allein. Wenn Sie dann nach kurzer Zeit merken, er ist es gar nicht, dann sind Sie enttäuscht, werden verletzend, schlagen um sich und machen sich wieder schuldig. Beim nächsten genauso. Immer auf der Suche, immer schuldig und ängstlich, schon so lange. Als

Weitere Kostenlose Bücher