Rosenpsychosen
durchgeschwitzt und immer noch keuchend, zu Hause ankam.
»Ich war joggen, guckt doch nicht so. Mache ich seit Jahren, weil es mir gut tut, nur sonst immer, wenn ihr in der Schule seid. Ich muss gleich noch mal los. Was habt ihr für Hausaufgaben? Ach, egal, macht sie einfach.«
Eine Stunde später betrat Helene den Salon HAARE – BY HENRYK, dessen Chef sie nach zwei weiteren Stunden um 210 Euro ärmer, aber mit einem erheblichen Problem weniger wieder entließ. Ihr einheitliches Grau war zweihundert aschockersilberbraunen Strähnchen gewichen. Der unerhörte Schmerz beim Zupfen der Brauen hatte sich nur mit dem ihrer Niederkunften messen können, und allein Henryks schwuler Stimme war es zu verdanken gewesen, dass Helene Operation Viertelgarbo nicht doch noch abgebrochen hatte.
Je mehr sie sich wünschte, die Frau statt der guten alten Freundin zu sein, desto mehr wurde aus ihrer Befürchtung eine eiskalte Angst.
»Baby, du warst ja so lange nicht mehr hier!« Henryk war herzlich erfreut, als Marie seinen Laden betrat.
»Hm. Hab kein Geld mehr, aber du machst es mir umsonst, stimmt’s?«
Marie und Henryk umarmten sich, als seien sie die besten Freunde. Gewissermaßen stimmte das sogar. Sie kannten sich seit zehn Jahren, hatten sich gegenseitig weinen sehen, sich getröstet und gewetteifert, wer die engsten Jeans tragen konnte. Marie hatte letztes Jahr Henryks große Liebe mit zu Grabe getragen. Er war ein Freund: Henryk, der Friseur, dem die Frauen vertrauten.
»Kann man bei dir eigentlich noch eine rauchen, ohne dass man ausgebürgert wird?«
»Aber klar, Baby. Setz dich. Lenin, bring uns zwei Prosecco, huschhusch! Also, was machen wir. Oh la la, ich sehe schon,da sind ja zwei Zentimeter Ansatz. Babybabybaby, so lange warst du nicht hier?«
»Krieg dich wieder ein. Schneid mindestens zwanzig Zentimeter ab. Und das Blond muss weg. Ich will meine Naturhaarfarbe wiederhaben. Und wehe, du versaust es.« Diesen Blick hatte Marie erwartet. Für Henryk waren Naturhaarfarben der Untergang des Abendlandes. »Herrje, jetzt guck nicht so. Komm, irgendwann ist immer das erste Mal. Sieh mal nach, was du so an bräunlichen Naturtönen da hast – soll aber nicht wie gefärbt aussehen!«
»Gottchen, Baby, von wegen das erste Mal. Du bist heute schon die Zweite, die so natürlich wie möglich aussehen will! Was ist nur los? Geht es dir denn gut? Du könntest es dir noch mal überlegen, komm, trink erst mal in Ruhe ein Schlückchen.«
»Ja, Henny-Schätzchen, mir geht es supergut. Ich will einfach nur meine Naturhaarfarbe zurück. Wenn du das nicht hinbekommst, dann sag es besser gleich. Bist ja nicht der einzige schwule Friseur in der Stadt.«
Henryk machte Anstalten zu schmollen, was Marie aber durch ein zärtliches Wangetätscheln noch einmal abwenden konnte.
Nachdem Krupskaja Marie den Kopf gewaschen hatte, schickte Henryk sich an, mit dem groben Kamm durch Maries nasses Haar zu gehen, stockte und zog eine seiner blondierten Brauen hoch.
»Was ist? Hab ich Läuse?«
»Schlimmer«, wimmerte Henryk. »Dein Haaransatz … da ist etwas Graues.«
Marie sprang auf und fiel beinahe in den Spiegel. »Oh, mein Gott, das ist ja furchtbar! Was machen wir denn jetzt?«
»Ruhig, Baby, setz dich einfach wieder hin und vergiss es. Ich bin der einzige schwule Friseur in der Stadt, der die ultimativeHaarfarbe für dich hat. Babybabybaby! Nichts bleibt einem erspart, aber für dich mach ich’s. Lenin! Noch einen Prosecco, husch! Und Trotzki möchte bitte Aschockersilberbraun anrühren! Huschhusch!«
14
Marie bezweifelt zunächst wieder störrisch den Sinn einer
Therapie, gibt dann aber, von Helene an die Hand
genommen, Informationen über ihre große Liebe preis
»Sie waren beim Friseur.«
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»Steht Ihnen gut.«
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»Wie fühlen Sie sich?«
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Ist alles ganz einfach, ganz einfach, faselte Marie lautlos in sich hinein, man muss nur die Dinge beim Namen nennen und sie nehmen, wie sie sind. Ganz einfach.
»Wie geht es Ihnen? Wie fühlen Sie sich?«
»Ja, wie soll ich mich wohl fühlen, wenn ich zu meiner Psychotherapeutin gehe und die einfach konstatiert, ich sei beim Friseur gewesen? Also, wie soll ich dieses bestimmt sehr bedeutende Gefühl jetzt aufdröseln, hm? Sagen Sie es mir doch, wie ich mich fühle. Sie haben doch den Kram studiert. Und deswegen bin ich ja wohl hier, oder? Damit Sie mir sagen, wie ich mich fühle.«
»Nein, deswegen sind Sie nicht hier. Fühlen müssen Sie sich selbst. Ich bin dazu da,
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