Rosenpsychosen
plötzlich zu einem richtigen Mann.
Jetzt lagen die Dinge anders. Noch zwei Wochen, dann würde Helene in Größe 38 am Bodensee in einem gepflegten Garten sitzen und Erwachsenengespräche führen mit jemandem, der keine Probleme hatte. Keine jedenfalls, die sie lösen musste. Sie und Olaf würden ein wenig über ihre Arbeit plaudern, nachmittags einen Rosé öffnen und den Jungs dabei zusehen, wie sie sich vom Schulalltag erholten.
Als emanzipierte Frau war sie immer dagegen gewesen, dass Frauen sich blödsinnigen Torturen unterzogen, die doch nur einem einzigen Zweck dienten. Vielleicht waren aber in diesem Fall rasierte Beine doch ein Muss. Jahrelang hatte sie ihr Feindbild aufrechterhalten; jetzt ertrank es gerade jämmerlich im Bodensee. Heute früh hatte sie sich proberasiert, um zu testen, wie ihre Haut darauf reagierte. Die Jogginghose scheuerte an den ungewohnt nackten Beinen. Am Ende hatte sie Herrmanns Infantilität und seinen Hasen in Kaufgenommen, weil es ihr so fortschrittlich vorgekommen war, dass er nichts auf Äußerlichkeiten gab. Viel zu spät hatte sie erkannt, dass ihm nur ihr Äußeres egal war. Sie war die Mutter seiner Kinder, die Familienmanagerin, die, an deren unparfümierte Schulter er sich lehnen durfte, mehr nicht. Was er wohl sagen würde, wenn er mitbekäme, wie kontrarevolutionär sie seit Neuestem mit sich umging? Ach was, erstens bekäme er es nicht mit, zweitens wäre es ihr egal, und drittens ging sie gerade zwar einen Schritt zurück, wagte aber drei nach vorn.
Nein, mit Olaf wollte sie nicht die Probe aufs Exempel machen und herausfinden, ob er Manns genug war, sie auch mit Achselhaaren zu lieben. Für ihn, der von einem Dreiviertel seiner Studentinnenschaft angehimmelt wurde – davon war auszugehen –, würde sie sich den Hauch einer Garbo verleihen. Nur nicht zu viel des Guten, einen wohlüberlegten Hauch nur. Olaf kannte Helene seit zwanzig Jahren und würde Lunte riechen, hätte sie sich allzu sehr verändert. Die Jungs stellten ebenfalls ein Risiko dar. Nichts wäre peinlicher, als wenn sie Olaf en passant erzählten, welche Veränderungen am Äußeren ihrer Mutter in den letzten zwei Wochen eingetreten waren. Eine halbe, eine viertel Garbo musste also ausreichen.
Auf dem Kongress in Wien letztes Jahr hatte sie bemerkt, dass er sich verändert hatte. Geraucht hatte er und schweren Rotwein getrunken, sie hatten gegrölt, über ihren alten Dekan hergezogen und sich gegenseitig mit ihren unterschiedlichen Leben aufgezogen. Helene hatte ihn gefragt, in welcher Sakkotasche er seine neueste minderjährige Errungenschaft mitführte, er hatte dafür ihre Musterehe mit Herrmann ironisch in den Himmel gelobt und sie gefragt, ob ihr Mann eigentlich ein richtiges Schwein im Bett sei. Komisch, sie hatte ihm das überhaupt nicht übel genommen, im Gegenteil,sie hatte sogar geantwortet. Und wie blöd sie geantwortet hatte: Das habe er, Herrmann, nicht nötig, worüber Olaf wiederum lachen musste, das Thema aber gentlemanlike wechselte. Warum war ihr nur so lange entgangen, welchen Spaß sie mit ihm schon immer gehabt hatte, wie fluffig und unverkrampft sie mit ihm herumtollen konnte. Auch die kollegialen Gespräche – immer auf höchstem fachlichen Niveau. Aber er war auch schon immer ein Schwerenöter gewesen, mit zwanzig schon.
Während sie sich erinnerte, beschlich Helene die Befürchtung, er könne sie als Freundin und nur als »alte Freundin« eingeladen haben. Vielleicht hatte er gerade eine Trennung hinter sich und brauchte eine Freundin, eine, deren Behaarung ihm egal war und an deren unparfümierter Schulter er sich ausheulen konnte. Noch, dachte sie, war es möglich, den für den späten Nachmittag angesetzten Friseurtermin abzusagen. Die Dessous befanden sich immer noch unangetastet in der Tüte. Ja, statt zum Friseur würde sie nachher in diesen Laden gehen und die Geräte zurückgeben. Und welche Erleichterung, sich die Suche nach eleganten, etwas höheren, aber die Söhne optisch täuschenden Birkenstocks in einem enervierenden Galopp durch mehrere Schuhgeschäfte sparen zu können!
Helene raste mehr, als dass sie joggte, merkte nicht, dass sie viel zu schnell war, und musste sich bald, einem Kollaps nahe, auf eine Bank fallen lassen. Nein, das kann so nicht sein. Ich werde hinfahren, und zwar als Viertelgarbo, resümierte sie. Sie stand wieder auf und ging schnellen Schrittes nach Hause.
Moritz und Fabian sahen ihre Mutter fragend von oben bis unten an, als sie,
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