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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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Verlegenheit zu verbergen, ihrer Stimme etwas Unbesiegbares zu verleihen. In unnötig scharfem Tonfall stellte sie die beiden einander vor: ihren Fluggast mit vollem Namen und Titel, Helene lediglich mit »meine Therapeutin«, kein Doktor, kein Name.
    Herrn von W. war die Situation nicht unangenehm. Er war gut erzogen und fing mit Helene einen unverfänglichen Smalltalk an. »Ah, das ist interessant. Und Sie genießen ebenfalls die schöne Sommernacht?«
    »Nein«, erwiderte Helene kaltherzig, »ich bin Psychiaterin und gehe nachts immer hinaus, um nachzusehen, was meine suizidgefährdeten Patientinnen mit Vaterkomplex so treiben. Manchmal, so wie jetzt, erwische ich eine. Und die Tatsache, dass meine Patientin hier mit Ihnen steht und Sie wahrscheinlich längst um den verlogenen Finger gewickelt hat, vervollständigt ein Bild. DAS ist interessant! Tja.«
    »Ach«, vermerkte August Graf von W. Er blickte konsterniert auf Helene, die, erschrocken über ihr Vorpreschen, zu einer Salzsäule erstarrt schien, dann auf Marie, die auf ihre Schuhspitzen glotzte, dann auf seine Armbanduhr und verabschiedete sich in aller Form mit zwei gehauchten Handküssen, wobei er zweimal eine gute Nacht wünschte.
    »Mann, muss das frustrierend sein, als chancenloses Mauerblümchen nachts durch die Stadt zu trotten, was? Ich wusste es von Anfang an: Sie sind gehässig, und Sie habenniemanden, der Sie mal ordentlich bumst! Sie mischen sich überall ungefragt ein und markieren den hilfreichen Engel in Sandalen. Aber Sie dürfen sich nicht in alles einmischen! Das dürfen Sie nicht! Sie sind ein neidisches graues Nichts! Ein frustrierter, freudloser Blätterteig sind Sie! Sie gehören in eine Therapie! Was hat Ihnen der Mann getan? Nichts! Er stand nur hier mit mir und hat sich unterhalten. ›Meine suizidgefährdeten Patientinnen mit Vaterkomplex‹! Eine Anmaßung ist das! Das dürfen Sie überhaupt nicht hinausposaunen, und noch dazu ist es der größte Blödsinn! Ich werde Sie anzeigen, und dann vermittle ich Ihnen eine Stelle als Putzfrau!«
    Helene hätte sich jetzt gerne an den Oberschenkelinnenseiten gekratzt, doch die Situation ließ das eindeutig nicht zu. »Jetzt halten Sie aber mal die Luft an. Erstens mische ich mich nicht ungefragt ein, denn schließlich sind Sie ja zu mir in die Praxis gekommen, damit ich mich einmische in Ihre Verkorksungen. Zweitens ist die Frage nicht, was mir der Mann getan hat, sondern was Sie ihm getan haben. Für Sie ist er nur ein seelenloses Vehikel, und es ist Ihnen vollkommen egal, wie es in ihm aussieht. Mir ist es übrigens auch gerade ziemlich egal. Drittens habe ich sehr wohl etliche Möglichkeiten, mich zu amüsieren. Viertens tun Sie sich mal keinen Zwang an, mich anzuzeigen. Nur zu!«
    Hastig zog Marie an ihrem Zigarillo und deutete, während sie den Rauch ausblies, mit dem Kinn auf das Schummerlicht, das das Schild der »Bar Gauguin« auf die gegenüberliegende Straßenseite warf. »Und trotzdem hätten Sie vorher abbiegen können. Jetzt geht das Hummersterben nämlich weiter, Ihretwegen! – Gehen Sie mit mir einen Kir trinken. Da drüben, wenn man Sie überhaupt reinlässt in Ihren Latschen. Waren Sie denn schon mal in einer Bar?«
    Damit hatte Helene nicht gerechnet. Sie spürte, dass sie provoziert werden sollte, ebenso, dass das bereits gelungen war. Zudem lehnten sowohl gesunder Menschenverstand als auch Berufsethos den gemeinsamen Barbesuch mit einer Patientin strikt ab. Doch die Urfrau in ihr bekam Oberwasser.
    »Gut, trinken wir etwas, ich denke schon, dass man mich da reinlässt. Und morgen können Sie mich ja immer noch anzeigen«, erklärte Helene, überzeugt, das Richtige im falschen Leben zu tun und gleichzeitig das Gegenteil.

17
    Eine verqualmte Bar bietet Raum für Helene, unter
    anderem etwas über Neotonie bei Schwanzlurchen und
    das Rückwärtslesen zu erfahren
    Marie klingelte, woraufhin ein brutale Verlässlichkeit ausstrahlender Zweimetermann mit Glatze und dicker Goldkette die schwere Tür öffnete. Nach zwei prüfenden Blicken setzte seine erstaunlich piepsige Stimme an, »Tut mir leid, wir sind voll« zu sagen.
    Schon hatte Helene ihren Fuß in der Tür, sah den Gorilla gnädig an, als wolle er etwas von ihr und nicht umgekehrt, streckte sich zu seinem Gesicht empor und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Nach etwa zehn Sekunden erschien der russische Herr des Hauses persönlich am Eingang, umarmte Helene aufrichtig herzlich, jede Menge freudige Begrüßungen brüllend,

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